Wer hat Schuld an der Misere der ÖGK?

9. April 2025Lesezeit: 4 Min.
Kommentar von Gerald Loacker

Gerald Loacker ist Jurist und geschäftsführender Gesellschafter bei der BWI Unternehmensberatung GmbH, die auf Vergütungssysteme und Gehaltsvergleiche spezialisiert ist. Außerdem arbeitet er als Sachverständiger für Berufskunde, Arbeitsorganisation und Betriebsorganisation. Bis Oktober 2024 war er als Abgeordneter zum Nationalrat in den Bereichen Arbeit, Soziales, Gesundheit und Wirtschaft sowie als stellvertretender Klubobmann der NEOS tätig.

Wieder einmal pfeift die ÖGK aus einem Loch. Es handelt sich noch nicht um das letzte solche, aber das Pfeifen ertönt neuerdings in kürzeren Abstanden und größerer Lautstärke. Der neubestellte ÖGK-Obmann Peter McDonald kann daher nicht einfach nur zusehen.

Der Öffentlichkeit gegenüber beweist er seine österreichische Politsozialisierung, indem er für die Bewältigung der finanziellen Probleme seiner ÖGK zwei vorrangige Lösungswege nennt: Erstens sollen die Bundesländer mehr Geld beisteuern. Und zweitens mögen bitte die Kassenärzte auch einen „Solidarbeitrag“ leisten, denn Verwaltungseinsparungen würden nicht viel bringen. So werden in Österreich Kassen gemanagt: Man erfindet neue Einnahmen.

Das IHS erhebt immer wieder die österreichischen Ärzteeinkommen. Aus diesen Zahlen ergibt sich, dass das Medianeinkommen der österreichischen Kassenärzte von 2012 (EUR 127.830) bis 2022 (EUR 201.306) um 64,5 Prozent angestiegen ist. Im selben Zeitraum haben sich die Einkommen der bei der ÖGK versicherten unselbständig Erwerbstätigen bescheidener, nämlich um 27 Prozent erhöht (marginal über der Inflation im genannten Zeitraum). Der ÖGK-Obmann hat also einen Punkt: Es ist nicht logisch, dass die Einkommen der Ärzte den Einkommen derer davonlaufen, die sie bezahlen.

Auf der anderen Seite ist die ÖGK kein bloßes Verrechnungskonto, das langfristig auf null gehalten werden sollte. Vielmehr käme den schwarzen und roten Kassenfunktionären eine Managementaufgabe zu: Wie kann die ÖGK mit den verfügbaren Mitteln den Versicherten die besten Gesundheitsleistungen einkaufen? Dazu würde auch Eigenleistung im Sinne von Innovation gehören. Wie können beispielsweise Gesundheitsprogramme aufgesetzt sein, dass sie dem System langfristig Kosten ersparen? Wie kann man Patientenströme lenken, damit diese ohne teure Umwege zu ihrer Versorgung kommen? Föderalistische Spompanadeln, wie das neunfache Aufsetzen der 1450-Hotline, die noch dazu unverbindliche Empfehlungen an die Versicherten gibt, gehören nicht zu den herausragenden Leistungen der Kassenführung. Auch Thomas Czypionka vom IHS sieht hier Versäumnisse: „In Österreich entscheidet der Patient, ob er mit Halsschmerzen zum Hausarzt, zum HNO oder gleich ins Spital geht – das ist sein gutes Recht. Aber das System hilft ihm dabei kaum.“ Statt gezielter Navigation durch strukturierte Erstkontakte – etwa über funktionierende telefonische oder digitale Triage – herrsche Orientierungslosigkeit. „Wir geben Milliarden aus, aber niemand steuert, wohin die Leute gehen. Das ist wie ein Flugplatz ohne Tower.“

Die ÖGK hat heute mehr Beschäftigte, als die neun fusionierten Gebietskrankenkassen vorher hatten. Das Potenzial, das in höherer Digitalisierung, besserer Datenanalyse und damit smarterer Ressourcenverwendung schlummert, liegt brach. Das unberührte Weitertragen der Zusatzpensionen entgegen den Empfehlungen des Rechnungshofs ist ebenfalls ein Beweis für das ungenützte Liegenlassen von Potenzialen.

An Einnahmen fehlt es der ÖGK gleichzeitig nicht. Zusätzlich zu den Versicherteneinkommen, die in den letzten Jahren zumindest mit der Inflation mitgewachsen sind, erhöht sich laufend die Höchstbeitragsgrundlage – oft über der Inflation – und bringt zusätzliches Geld. Künftig werden außerdem die Pensionisten 6,0 Prozent statt 5,1 Prozent Krankenversicherungsbeitrag zahlen, also ein Sechstel mehr. Doch auch das wird nicht reichen.

Denn die ÖGK ist nicht nur temporär klamm, sie ist strukturell überfordert. Das Umlageverfahren funktioniert nur bei stabilem Verhältnis von Zahlern zu Empfängern – eine Illusion in einem Land mit steigender Lebenserwartung und sinkender Geburtenrate. Die Babyboomer gehen in Pension, und die Jungen sind zu wenige, um die steigenden Gesundheitskosten aufzufangen, die mit dem längeren Leben einhergehen. Doch solchen Fragen sind die handelnden Personen nicht gewachsen. Sie stopfen ein Loch, während das nächste aufgeht. An der Struktur wird dabei nie gerüttelt.

Peter McDonald gibt sich gerade als Feuerwehrmann – aber was er braucht, ist der Mut eines Architekten. Die Löcher, aus denen die ÖGK pfeift, lassen sich nicht mit kurzfristigen Beitragsanpassungen oder Bettelbriefen an Länder und Ärzte stopfen. Was es bräuchte, wäre ein neues Verständnis von Kassenführung: eines, das sich nicht im Verwalten und Weiterreichen erschöpft, sondern gestaltet – mit klarer Steuerung, digitaler Intelligenz und dem Mut, Strukturen infrage zu stellen. Ob McDonald dazu in der Lage ist, wird sich daran zeigen, ob er den Spagat zwischen politischer Herkunft und systemischer Verantwortung meistern kann.

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