Kommentar

Wer sich über die Gönnung der WKÖ freut – und wer weniger

4. November 2025Lesezeit: 4 Min.
Sara Grasel Illustration
Kommentar von Sara Grasel

Sara Grasel ist Chefredakteurin von Selektiv. Sie ist seit fast 20 Jahren Wirtschaftsjournalistin mit Stationen bei „Die Presse“, Trending Topics und brutkasten. Zuletzt war sie Chefredakteurin der Magazine der Industriellenvereinigung.

Wenn der ÖGB der Wirtschaftskammer zu „ordentlichen Lohnsteigerungen“ gratuliert, ist gewaltig etwas schiefgelaufen. Seit Monaten mahnen Arbeitgebervertreter bei den Lohnverhandlungen zur Zurückhaltung, um die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der exportorientierten Branchen nicht noch stärker zu verschlimmern. „Made in Austria“ ist zu teuer geworden. Wir produzieren im Land teurer als in Nachbarländern, verkaufen aber auf denselben Märkten – diese Preissteigerungen können nicht weitergegeben werden, also wird hier halt weniger produziert mit allen negativen Konsequenzen wie Jobabbau und Insolvenzen. 

Manche Branchen trifft das besonders hart – zum Beispiel die Metaller, die mit ihrem Abschluss von 1,4 Prozent, also nur der Hälfte der Inflation, gezeigt haben, was alles geht, wenn die Hütte brennt. Erstaunt hat auch die Beamten-Gewerkschaft, die sich nach etwas Zögern zu Verhandlungen des bereits fixierten Abschlusses durchgerungen hat. Das Ergebnis: durchschnittlich 1,5 Prozent für die kommenden drei Jahre. Vor dem Aufschnüren wären es für 2026 +3,3 Prozent gewesen. Und selbst bei den Pensionisten war eine gewisse Zurückhaltung in Ansätzen erkennbar. Die Arbeitgebervertreter selbst gönnen sich satte 4,2 Prozent, wie die Presse in Erfahrung gebracht hat. Das ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die „ihren Beitrag geleistet“ haben. Nach drei Jahren Rezession ist in einigen Branchen nach wie vor kein Aufwind zu erkennen und langsam sickert es bei allen, dass wir hier nicht ohne Schmerzen herauskommen.

Das ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die „ihren Beitrag geleistet“ haben.

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Kein Wunder also, dass die Gönnung der WKÖ auf breites Stirnrunzeln stößt: unsensibel, fatal, kontraproduktiv, unverständlich sind nur einige Adjektive aus den Reaktionen. Die feine Lohnerhöhung wird ausgerechnet von jenen Unternehmen finanziert, die jetzt reihenweise den Gürtel enger schnallen oder überhaupt zusperren müssen. Sollen die nicht ganz freiwilligen Mitglieder der Kammer doch Kuchen essen. Breites Grinsen hingegen dürfte das satte Plus bei der Gewerkschaft ausgelöst haben. Beinahe spöttisch liest sich die Würdigung durch den ÖGB: „Ich begrüße das Umdenken der Wirtschaftskammer und ihres Präsidenten ausdrücklich. Lohnzurückhaltung und Kaufkraftverlust können keine Lösung sein – das haben wir als Gewerkschaft immer gesagt“, meint vida-Chef Roman Hebenstreit. Weniger zu lachen hat der Handelsverband. Während in der Industrie auch bei den meisten Gewerkschaftern angekommen ist, dass die Lage gelinde gesagt schwierig ist, sieht es bei Dienstleistungen etwas anders aus. Postwendend werten die Arbeitnehmervertreter den WKÖ-Abschluss als wichtiges Signal für die laufenden Verhandlungen im Handel und in der Sicherheitsbranche und fordern Abschlüsse deutlich über der rollierenden Inflation. Man stelle sich vor, der Beamtenabschluss hätte im Vorfeld der Metaller-Verhandlungen ein solches Vorbild abgegeben. Die WKÖ toppt selbst die Arbeiterkammer, die alte Verträge um 2,7 Prozent und neue Verträge um 2,9 Prozent erhöht.

Man stelle sich vor, der Beamtenabschluss hätte im Vorfeld der Metaller-Verhandlungen ein solches Vorbild abgegeben. 

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Dass der Kammer hier zur Verteidigung nicht mehr einfällt, als auf die eigenen Regeln zu verweisen, ist geradezu grotesk. Ja, es gibt eine starre Formel, die sich an den Vorjahresabschlüssen orientiert. Diese Formel hat praktischerweise ganz ohne Verhandlungen eben diese 4,2 Prozent ausgespuckt. Dass da niemand auf die Idee kommt, dass das vielleicht ein ungünstiger Moment für eine solche Erhöhung ist, ist schon bemerkenswert. Da hilft es auch nichts, darauf hinzuweisen, dass das langjährige Mittel (seit 2015!) unter dem langjährigen Mittel der Abschlüsse der Metaller oder des Handels liegt. Erstaunlich, dass man die Wirtschaftskammer darauf hinweisen muss, dass diese Branchen in den Jahren vor der Rezession – im Unterschied zur Wirtschaftskammer – auch etwas erwirtschaftet haben, das es dann zu verteilen gab. Diese Zeiten sind aber aktuell vorbei. Wenn selbst die Beamtengewerkschaft bereit ist, einen fix fertig verhandelten Abschluss aufschnüren – das gab es übrigens noch nie –, dann hätte man sich vielleicht auch bei der Kammer auf ein Gespräch mit dem Betriebsrat treffen können.