Guten Morgen Österreich!
Wir begrüßen Sie bei unserem wirtschaftspolitischen Briefing um 7 Uhr! Heute zusammengestellt und editiert von Sara Grasel, Stephan Frank, Christoph Hofer und Gregor Plieschnig – wir melden uns aus Wien.
News – das müssen Sie heute wissen:
Heimische Industrie-Talsohle in Sicht. Erstmals seit 18 Quartalen verzeichnen zentrale Konjunkturindikatoren der heimischen Industrie ein leichtes Plus, so das Ergebnis des neuesten IV-Konjunkturbarometers. Ein weiteres Rezessionsjahr der heimischen Industrie wird dennoch nicht mehr zu verhindern sein. Erst in sechs Monaten wird mit einer deutlichen Verbesserung der Geschäftslage gerechnet (+7 Punkte). Der Bestand an Aufträgen stabilisiert sich, jedoch muss weiterhin jeder fünfte Betrieb Personal reduzieren. „Österreich steht vor einem Scheidepunkt des Landes“, so IV-Generalsekretär Christoph Neumayer. Sich einfach zurückzulehnen sei jetzt die falsche Vorgangsweise. Vor allem kurzfristig brauche es wieder Zuversicht durch Investitionsanreize wie z.B. Sonderabschreibungen, einen forcierten nationalen Bürokratieabbau sowie einen gedeckelten Industriestrompreis. Auf EU-Ebene müsse derweil die Erschließung neuer Absatzmärkte durch Freihandelsabkommen vorangetrieben werden. [Quelle: IV]
Migration: „Transferleistungen verstärken Magnetwirkung Wiens“
Interview mit Martin Halla
Martin Halla ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der WU Wien. Im Interview mit Selektiv analysiert er aktuelle Herausforderungen und neue Probleme des Wiener Arbeitsmarktes. Warum es wichtig ist, Äpfel mit Äpfeln zu vergleichen, Wien die Anreize für weiteren Zuzug Geflüchteter reduzieren sollte, was man von Dänemark lernen kann und welche Reformen es mit Blick auf den Tag nach der Wien-Wahl geben sollte.
Grafik (von Christoph Hofer): Diesen Sonntag wählt Wien einen neuen Landtag und 23 Bezirksräte. Obwohl nur knapp jeder fünfte Österreicher in Wien lebt, versammelt die Hauptstadt fast die Hälfte aller österreichischen Startups und internationalen Headquarters auf sich. Rund 40 Prozent aller Mietwohnungen stehen in Wien. Über 70 Prozent der bundesweiten Ausgaben für Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung entfallen auf Wien. Mehr als jeder dritte Wiener hat eine ausländische Staatsbürgerschaft. Knapp ein Viertel des heimischen BIP sowie der Schulden von Gemeinden und Ländern gehen auf das Konto Wiens. Derweil stellt Wien nur 0,5 Prozent der Fläche Österreichs. [Quellen: Statistik Austria I, Statistik Austria II, Statistik Austria III, Statistik Austria IV, Statistik Austria V, WKO, Austrian Startup Monitor, Invest in Austria, Neos Lab]

Bedeutung der Lehre geht zurück. Knapp die Hälfte der heimischen Betriebe sieht aktuell keinen Bedarf für Lehrlinge. Die angespannte wirtschaftliche Situation würde den Fach- und Arbeitskräftemangel aktuell in den Hintergrund treten lassen, dazu kommen Schwierigkeiten beim Finden von geeigneten Lehrlings-Anwärtern: 50 Prozent der Lehrbetriebe orten fehlende Mindestanforderungen bei den Bewerbern, 48 Prozent beklagen die geringe Zahl an Bewerbungen. Und ein Großteil (63 Prozent) berichtet von mangelnder Motivation bei den potenziellen Lehrlingen. [Quelle: Deloitte Youth Pulse Check]
Wohnungsbewilligungen sinken – Eigentumserwerb bricht ein. 2024 wurden mit 32.100 Wohnungen in neuen Gebäuden um 8,5 Prozent weniger bewilligt als 2023, das ist der niedrigste Wert seit 2010. Von 2014 bis 2024 ging die Zahl um 37 Prozent zurück – die gesunkene Zahl der Bewilligungen bedeute, dass in den kommenden Jahren die Zahl neuer Wohnungen zurückgehen wird, und das bei steigender Bevölkerung. Eine neue Studie von Raiffeisen Research zeigt, dass Mieten in den letzten 20 Jahren real um knapp 12 Prozent teurer geworden sind. 35 Prozent weniger Haushalte als vor der „Zeitenwende“ auf dem Immobilienmarkt haben in den letzten zweieinhalb Jahren Eigentum erworben. Vor allem gestiegene Kreditzinsen erschweren seit Herbst 2022 den Weg ins Eigenheim. [Quellen: Statistik Austria, Raiffeisen Research]
Steirischer Schuldenstand steigt. Zum Ende des heurigen Jahrs wird der Schuldenstand der Steiermark auf knapp 7,09 Mrd. Euro steigen – angekündigte Kürzungen und Einsparungen der blau-schwarzen Landesregierung würden im heurigen Fiskaljahr noch nicht stark genug wirken. Die Neuverschuldung wird heuer knapp 942 Mio. Euro ausmachen. Ab 2026 soll das Bilanzminus verringert werden. [Quelle: Pressekonferenz]
Europäischer Automarkt schwächelt, Interesse an E-Autos ambivalent. Die Neuzulassungen innerhalb der EU sanken im 1. Quartal 2025 um -1,9 Prozent. In Österreich hingegen legten die Neuzulassungen um 4,4 Prozent zu. Innerhalb der EU liegen Hybrid-Pkw mit 35,5 Prozent Marktanteil mittlerweile auf Platz 1 (+20,7 Prozent), danach folgen Benziner mit 28,7 Prozent (-20,6 Prozent) und auf Platz 3 dann batterie-elektrische Pkw mit 15,2 Prozent Marktanteil (+23,9 Prozent). Beim Interesse der Österreicher an E-Autos kommen zwei aktuelle Umfragen zu deutlich unterschiedlichen Ergebnissen: Während die Wiener Städtische beim Neuwagen-Kauf ein Interesse von 37 Prozent und damit Platz 1 für E-Autos erhoben hat, rangieren diese bei Autoscout24 am letzten Platz mit nur 12 Prozent Interesse. [Quellen: ACEA, Wiener Städtische, Autoscout24]
Papierindustrie leidet unter Energiekosten. Die österreichische Papierindustrie hat sich 2024 zwar leicht erholt, bleibt aber unter dem Vorkisenniveau. Nach einem Umsatzeinbruch von 22,1 Prozent 2023, konnten die Umsätze 2024 im Jahresabstand um 7,2 Prozent gesteigert werden. Die Produktion konnte um 13,7 Prozent auf 4,4 Mio. Tonnen ausgeweitet werden, ohne die Vorjahresverluste aufzuholen. Belastend sind vor allem die Energiepreise, die laut einer AIT-Studie in Deutschland um 50 Prozent niedriger liegen. Austropapier sieht daher in einer Verlängerung der Strompreiskompensation bis 2030 eine der wichtigsten Maßnahmen. In den meisten EU-Ländern wurde die Rückerstattung von Kosten aus dem EU-Emissionshandel bereits verlängert, in Österreich wurde sie nur einmalig für 2022 gewährt. [Quelle: Austropapier]
Betriebliche Vorsorge steigerte Performance. Die heimischen betrieblichen Vorsorgekassen konnten im Vorjahr eine durchschnittliche Perfomance von 4,7 Prozent erzielen, nach 4,5 Prozent 2023. Das Wachstum war angetrieben durch starke Entwicklungen bei Anleihen, Aktien und Investitionen in Rohstoffe. Die Spannbreite der einzelnen Jahresrenditen reichte dabei von 2,8 bis 6 Prozent. Das verwaltete Kapital der Kassen wuchs um 2,4 Mrd. Euro auf 21,3 Mrd. Euro, ein Plus von 12,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. [Quelle: Greco]
Inflation und Lohnwachstum in Eurozone sinken. Die Inflation in der Eurozone dürfte heuer und nächstes Jahr mit 2,3 Prozent über der Zielmarke der Europäischen Zentralbank, aber stabil bleiben. Analysten sehen keine erhöhte Inflationsgefahr, Indiz dafür ist auch das gesunkene Lohnwachstum. Dieses dürfte heuer 3,1 Prozent nach 4,8 Prozent 2024 betragen. Die EZB-Spitzen Im Gegensatz dazu dürfte die erwartete US-Inflationsrate für 2025 und 2026 mit 3,2 und 3,1 Prozent deutlich den Zielwert der Fed übersteigen. Eine stärkere Zinssenkung, um diese Stabilisierung auch abzusichern, sei aber nicht ausgeschlossen, wurde im Rahmen der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds von Ratsmitgliedern der EZB betont. Die Zollpolitik der USA könnten eine drastischere Zinssenkung der EZB notwendig machen. [Quellen: ZEW, EZB, Bloomberg]
Große Rohstoff-Potenziale in der Ukraine. Während die USA versucht, einen Rohstoffdeal mit der Ukraine abzuschließen, gibt es ein solches Abkommen mit der EU bereits seit 2023. Ukrainische Titan-Minen waren vor dem Krieg für 7 Prozent der globalen Produktion zuständig, 2022 waren es nur noch 2 Prozent – ein ähnliches Bild ergibt sich bei Mangan und Eisenerz. Die großen Lithium-Reserven werden derzeit nicht gehoben. Die ukrainischen Rohstoff-Exporte betrugen 2019 12,4 Prozent der Gesamtexporte und 2023 nur noch 9 Prozent. Der wichtigste Abnehmer ist derzeit Polen gefolgt von Indien, Türkei, Italien und Slowakei. Die Studie empfiehlt den Aus- und Aufbau der Minen und den Aufbau einer Aufbereitungs-Industrie. Beim Absatz gäbe es großes Potenzial für Deutschland, das derzeit ein Drittel der Einfuhren von Titan, Mangan und Graphit in die EU importiert. [Quelle: ifo/EconPol-Studie]
Konjunkturprognose für Deutschland trübt sich weiter ein. Die deutsche Bundesregierung rechnet in ihrer Frühjahrsprojektion für heuer mit einer Stagnation des Wirtschaftswachstums, 2026 wird mit einem Wachstum von 1 Prozent gerechnet. Zu Jahresanfang war für 2025 noch mit einem Wachstum von 0,3 Prozent und für 2026 einem Anstieg von 1,1 Prozent kalkuliert worden. Die Zollpolitik der USA wird als Hauptfaktor für den schwächeren Ausblick genannt. Der ifo Geschäftsklimaindex im April liegt leicht besser bei 86,9 Punkten, nach 86,7 Punkten im März. Die Erwartungen trüben sich jedoch ein – im verarbeitenden Gewerbe hat der Index nach dem starken Anstieg im Vormonat wieder nachgegeben. [Quellen: Frühjahrsprojektion, ifo-Geschäftsklimaindex]
USA und Ukraine sollen über Freihandelszone verhandeln. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal kündigte Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der Ukraine und den USA an. Bei einem Treffen mit dem US-Finanzminister Scott Bessent in Washington D.C. hat sich Schmyhal für den Abschluss eines partnerschaftlichen Wirtschaftsabkommens einen Investitionsfonds für den Wiederaufbau eingesetzt. Gleichzeitig fordert Schmyhal, den Druck auf Russland in Form von weiteren Sanktionen zu erhöhen. Morgen soll es laut Schmyhal ein Update zum Rohstoff-Deal geben. [Quelle: Kyiv Independent, Schmyhal auf X, Schmyhal auf Telegram]
Norwegischer Staatsfonds mit Milliardenverlusten. Im ersten Quartal des heurigen Jahres hat der norwegische Staatsfonds, der die Einnahmen des Königreichs aus Öl- und Gasproduktion verwaltet, einen Verlust von umgerechnet 35 Mrd. Euro verzeichnet. Die Ergebnisse wurden von der schlechten Perfomance von Technologieaktien gedrückt – eben jene haben im finalen Quartal 2024 noch zu einem Rekordgewinn beigetragen. [Quelle: Norges Bank Investment Management]
China erleichtert ausländische Investitionen. China reduziert die Anzahl der Branchen in denen ausländische Investoren nicht oder nur eingeschränkt aktiv werden können von 117 auf 106. Damit sollen Investitionen in China angekurbelt werden, nachdem diese 2024 um 27,1 Prozent zurückgegangen waren. Die nun teilweise liberalisierten Bereiche umfassen unter anderem Fernsehproduktionen, Telekommunikationsdienste, Online-Informationsdienste für Arzneimittel und medizinische Geräte und die Einfuhr von Forstsaatgut. [Quelle: Reuters]
US-Arbeitsmarktzahlen trüben sich leicht ein. Die Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe in den Vereinigten Staaten haben sich in der Vorwoche um 6.000 Stück auf 220.000 erhöht. Damit blieb die Rate der versicherten Arbeitslosen weiterhin bei 1,2 Prozent. [Quelle: US Department of Labor]
Selektive Agenda:
9:00 Uhr, Österreich: Nationalratssitzung, u.a. Fragestunde mit Europaministerin Plakolm [Info]
9:00 Uhr, Wien: Statistik Austria veröffentlicht „Landwirtschaftliche Gesamtrechnung für Österreich 2024“ (2. Vorschätzung)
10:00 Uhr, Villach: Tagung der Klimaschutzreferenten der Bundesländer
Sonntag, Wien: Wahl des Gemeinderats und Landtags, sowie der Bezirksvertretungen. Wahllokale schließen um 17 Uhr, knapp danach wird die erste Hochrechnung erwartet. [Info]
Selektives Networking:
Geburtstage: Wir gratulieren Helmut Draxler, Maurice Androsch und Beate Meinl-Reisinger zum Geburtstag. Am Samstag feiern Reinhold Bilgeri und Yannick Shetty, am Sonntag Helmut Marko.
Sehen & gesehen werden:
14:00 Uhr, Wien: Die Central European University lädt zur Konferenz mit Abendempfang „The Future of Finance“ u.a. mit Szabolcs Szalay (BCG) [Info]
19:00 Uhr, Gols: Diskussion „Österreichs Weinbau zwischen Tradition und Innovation“ u.a. mit Johannes Schmuckenschlager, Nikolaus Berlakovich [invite only]
Samstag, 19:30 Uhr, Graz: Grazer Jägerball in der Seifenfabrik [Info]