Helene Schuberth ist ÖGB-Chefökonomin und Bundesgeschäftsführerin für Grundlagen und Interessenspolitik © Elisabeth Mandl
Helene Schuberth ist ÖGB-Chefökonomin und Bundesgeschäftsführerin für Grundlagen und Interessenspolitik © Elisabeth Mandl
Interview

ÖGB-Schuberth: „Banken fuhren Zufallsgewinne in Milliardenhöhe ein“

Helene Schuberth, Chefökonomin und Bundesgeschäftsführerin des ÖGB spricht im Selektiv-Interview über konjunkturelle Gefahren des blau-schwarzen Sparpakets, die Notwendigkeit Lasten auf „breite Schultern“ zu verteilen, falsche Ängste vor einem EU-Defizitverfahren und was zu tun wäre, um die heimische Wirtschaft wieder anzukurbeln.

Viele der einzelnen Maßnahmen im blau-schwarzen Sparpaket wurden bereits intensiv diskutiert. Wie ist denn Ihr Gesamteindruck des Pakets?

Helene Schuberth: Das bislang präsentierte Sparpaket von 6,4 Mrd. Euro ist sozial nicht ausgewogen und konjunkturschädlich. Überspitzt formuliert scheint es nach dem Motto gestaltet worden zu sein: Wie kann ich die Wirtschaft und den Standort bestmöglich schwächen. Es droht der Konkurs von vielen Unternehmen und der Verlust von zigtausenden Arbeitsplätzen. Es ist ein Sparpaket, wie man es nach allen Regeln der ökonomischen Vernunft nicht machen sollte: die Bevölkerung wird stark belastet und der Konsum weiter geschwächt – eine Konsolidierung fast ausschließlich zulasten der Beschäftigten, der Pendler und der Pensionisten. So kommt zum Beispiel die Abschaffung des Klimabonus im Prinzip einer Steuererhöhung gleich und kostet z.B. einer Familie mit zwei Kindern im Waldviertel etwa 1.000 Euro im Jahr. Aber auch viele Unternehmen verlieren Aufträge und damit ihre Existenzgrundlagen.

Meine Befürchtung ist: Die Wirtschaft bricht im Zuge des drastischen Sparpakets weiter ein – wodurch dann die 3-Prozent-Defizitquote erst recht wieder überschritten wird und mit weiteren Milliarden nachgebessert werden muss, um ein Defizitverfahren zu vermeiden.

Welche Schwerpunkte hätten Sie anders gesetzt?

Es geht sicherlich zum einen um Gerechtigkeit – ein Sparpaket wird eher akzeptiert, wenn es sich auf „breite Schultern“ stützt. Es geht aber auch darum, ein Sparpaket so konjunkturschonend wie nur möglich zu gestalten. Die Austeritätsjahre vieler europäischer Länder nach der Finanzkrise haben uns gezeigt, dass Konsolidierung, die ausschließlich zu Lasten der breiten Bevölkerung geht, eine Abwärtsspirale in Gang setzen kann: Sparprogramme haben zwar den Schuldenstand reduziert, das BIP ist aber in vielen Fällen stärker eingebrochen als die Schulden zurückgegangen sind. Mit der Folge, dass die Schulden in Relation zum BIP sogar gestiegen sind; man nennt das „self-defeating fiscal consolidation“. Das ist ein mögliches Szenario für Österreich, wenn dieses Sparpaket und die weiteren, die noch folgen werden, ausschließlich die breite Masse belasten.

Man hätte eine Liste von Maßnahmen erstellen und dann priorisieren müssen: welche haben den geringsten Fiskalmultiplikator, d.h. den geringsten negativen Konjunktureffekt. Da steht die Bankenabgabe sicherlich an oberster Stelle. Auch eine Erbschaftssteuer hätte keine negativen Effekte, wenn die Vererbung von Unternehmensvermögen analog der deutschen Regelung (Steuerfreiheit von 85 Prozent) gestaltet wird. Im Gegenteil: Die Forschung zeigt sogar, dass Erbschaftssteuern Arbeitsanreize und damit Wachstum erhöhen. Die Belastung – primär der unteren Einkommen hat sicherlich den höchsten Fiskalmultiplikator.

Vor allem im Umwelt- und Klimabereich wurde gekürzt. Ist das aus klimapolitischer Sicht ein Problem?

Wenn wir die Klimaziele verfehlen, drohen uns Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Dazu kommt, dass sich Unternehmen auf die Transformation eingestellt, Investitionen getätigt und Fachkräfte ausgebildet haben. Die Kehrtwende im Klimaschutz untergräbt die Planungssicherheit für Unternehmen. Die Kürzungen betreffen die Elektromobilität, den Ausbau der Erneuerbaren Energien, Subventionen für Transformationsprojekte der Industrie, aber auch die Förderungen für energieeffiziente Gebäudesanierungen. Dies schwächt Österreichs Wettbewerbspositionen, da viele Länder auf staatliche Subventionen bei der Transformation vertrauen können. Österreich droht auch, seine hervorragende Stellung als Innovator im Bereich der grünen Technologien zu verlieren. Ein Zurückdrehen der Transformation wäre fatal für die Planungssicherheit der österreichischen Unternehmen.

Es gab viel Kritik an der Abschaffung des Klimabonus. Drängt es sich in ökonomisch schwierigen Zeiten nicht auf, bei einer derartigen „Gießkannensubvention“ den Sparstift anzusetzen?

Dass Top-Verdiener den Klimabonus erhalten haben, ist sicherlich nicht zu rechtfertigen. Ihn aber jetzt völlig abzuschaffen, ist insbesondere angesichts der wieder steigenden Energiepreise für viele eine enorme Belastung – und zwar für jene, die sich die Pendlerstrecke oder die Heizformen nicht aussuchen können. Hier ist die Lenkungswirkung der steigenden CO2-Steuer nicht gegeben, sehr wohl aber die negativen Verteilungswirkungen. Statt den Klimabonus ersatzlos zu streichen, sollte er treffsicherer gestaltet werden. Denkbar wäre, ihn über die Steuererklärung bzw. Arbeitnehmerveranlagung abzuwickeln: ein negativsteuerfähiger Absetzbetrag von 100 Euro könnte gewährt werden, der einem ab der Tarifstufe 4 nicht mehr zusteht. Die jetzigen Kosten des Klimabonus könnten mit diesem Modell mehr als halbiert werden.

Eine Erbschaftssteuer steht historisch in der Tradition des ökonomischen Liberalismus

Die SPÖ pochte in den Regierungsverhandlungen auf neue Reichensteuern bzw. einen Beitrag der Krisengewinner. Wie stehen Sie zu diesen? Wie hätten Abgaben in diesem Bereich ausgestaltet sein müssen, um sowohl Steuerflucht als auch Einnahmenverluste bei anderen Steuern (z.B. KöSt, KESt) zu verhindern?

Ich erachte es als unangebracht, bei Vorschlägen zu international üblichen Steuern reflexartig auf Steuerflucht und -vermeidung zu verweisen, ohne eine differenzierte Betrachtung anzustellen. Letztlich kommt es auf die Ausgestaltung der jeweiligen Steuer an. Dass der Anteil der vermögensbezogenen Steuern in unserer Steuerstruktur erhöht werden muss, ist unabhängig vom hohen Konsolidierungsbedarf schon seit langem eine zentrale Empfehlung der OECD und auch der Europäischen Kommission. Sie kritisieren die hohe Belastung des Faktors Arbeit und die niedrige Belastung durch vermögensbezogene Steuern. Die vorgeschlagenen Steuermodelle in Hinblick auf vermögensbezogene Steuern wurden ja so konzipiert, dass sie möglichst geringe wachstumshemmende Effekte haben. Ein Beispiel hierfür ist die Erbschafts- und Schenkungssteuer, die in der Mehrheit der europäischen Länder etabliert ist; bei der Vererbung von Betriebsvermögen gibt es in der Regel großzügige Ausnahmeregelungen. Eine Erbschaftssteuer steht historisch in der Tradition des ökonomischen Liberalismus – deren Ablehnung durch Wirtschaftsliberale verstehe ich nicht.

Bei einer Vermögensteuer ist das Thema der Steuerflucht tatsächlich zu diskutieren; es gibt zwar die Möglichkeit der Wegzugsbesteuerung, die allerdings zu reformieren wäre. Bei der Wahl der Höhe der progressiven Steuersätze ist tatsächlich Vorsicht geboten. Die konsequente Ablehnung vermögensbezogener Steuern in Österreich stellt eine bemerkenswerte Ausnahme dar – und es sind insbesondere die Hochburgen des angelsächsischen Shareholder-Kapitalismus, die ein beträchtliches Aufkommen aus solchen Steuern generieren.

In den letzten Wochen ist ein Streit über die Rolle einer neuen Bankenabgabe für den Abbruch der Koalitionsverhandlungen von ÖVP, SPÖ und Neos entstanden. Wie viel hätte eine solche Abgabe dem Budget gebracht? Besteht hier nicht auch ein gewisser Zielkonflikt zwischen der nötigen Budgetsanierung und dem staatlich vorgeschriebenen Eigenkapitalaufbau?

Die österreichischen Banken haben in den letzten drei Jahren über 30 Mrd. Euro Gewinne gemacht – nach Steuern wohlgemerkt. Es handelt sich dabei um Zufallsgewinne, die weder mit höherer Produktivität noch mit besseren Serviceleistungen für Bankkunden zusammenhängen. Gleichzeitig werden Filialen geschlossen, Personal abgebaut und der Arbeitsdruck steigt. Die historisch hohen Gewinne reflektieren einen substanziellen Profit-Transfer vom öffentlichen Sektor (Notenbank) zu den Banken. Der Zinsanstieg der EZB hat nämlich dazu geführt, dass sich die Banken im Rahmen von längerfristigen Refinanzierungsoperationen der Eurosystem-Notenbanken sehr günstig Liquidität beschaffen und diese wiederum äußerst attraktiv mit bis zu 4 Prozent bei der OeNB veranlagen konnten. Während die Zinserhöhungen der Notenbank rasch und beinahe vollständig an die Kreditzinsen weitergegeben wurden, erfolgte die Anpassung der Einlagezinsen äußerst zögerlich und unvollständig. In der Folge wurden aus diesem Titel historisch hohe Nettozinserträge erzielt.

Der Vorschlag von AK und ÖGB brächte insgesamt bis zu 1 Mrd. Euro jährlich – als Stabilitätsbeitrag für fünf Jahre konzipiert. Es geht dabei nicht nur um Gerechtigkeit, es geht doch darum, dass man Konsolidierungsbeiträge wählen muss, die einen möglichst geringen negativen Effekt auf die Konjunktur haben. Dass der Eigenkapitalaufbau und auch die Kreditvergabe erschwert würden, überzeugt mich nicht, so wie ich überhaupt ein déjà vu Erlebnis habe: Genau vor 15 Jahren, als die Bankenabgabe diskutiert wurde, gab es dieselben Argumente – in einer Situation als die Banken viel schlechter kapitalisiert waren. Die Erfahrungen mit der Bankenabgabe haben aber gezeigt, dass die Banken in einer damals sicherlich schwierigeren Situation weiter Eigenkapital aufbauen konnten und gleichzeitig wurde die Kreditvergabe nicht erschwert. Die Banken sind jetzt schon überdurchschnittlich kapitalisiert. Vergessen werden darf auch nicht, dass es historisch hohe Dividendenausschüttungen und Aktienrückkäufe gab. Hier wäre es doch sinnvoller gewesen, die überbordenden Gewinne noch stärker für den Kapitalaufbau zu verwenden. Vor die Wahl gestellt, entweder den Mindestpensionisten etwas wegzunehmen oder die Ausschüttung von Dividenden an (internationale) Finanzinvestoren zu beschneiden, weiß doch jeder und jede, wie zu entscheiden ist.

Wäre nicht Wachstum das beste Mittel, um aus der Budgetmisere zu kommen?

Mich amüsiert, dass diejenigen, die die Fiskalregeln verschärft und beschlossen haben, genau dieses Argument immer wieder ins Treffen führen. Grundsätzlich stimmt es natürlich, dass Wachstumsimpulse Defizit- und Schuldenquoten reduzieren; das steht in allen Lehrbüchern. Aber in der Welt der neuen EU-Fiskalregeln funktioniert das so nicht. Sie sind – im Gegensatz zu den früher geltenden – so ausgestaltet, dass man sich diesen Mechanismus eben nicht zunutze machen kann. Der Pfad, z.B. für sieben Jahre ist fix vorgegeben – konkret das maximal zulässige jährliche Nettoausgabenwachstum von etwa 2 Prozent über sieben Jahre. Überschreitet man diesen Grenzwert um einen bestimmten Betrag ist eine Strafzahlung fällig. Da man beim Nettoausgabenwachstum die wachstumsbedingt stärkeren Steuereinnahmen laut Definition nicht abziehen kann, sondern nur Steuererhöhungen, die man beschließt (z.B. vermögensbezogene Steuern), kann man den Konsolidierungsbedarf – zumindest kurz- und mittelfristig durch stärkeres Wachstum nicht reduzieren. Die Länder sind dabei in ein starres Korsett gezwängt und es wäre höchst an der Zeit, diese unsinnigen Fiskalregeln, gegen die ÖGB und Europäischer Gewerkschaftsbund Sturm gelaufen sind, zu reformieren. Schade, dass uns die Vertreter der Wirtschaft in dieser auch für sie zentralen Frage nicht gefolgt sind. Die neuen Fiskalregeln sind wachstums- und standortfeindlich. Ungeachtet dessen ist es ein Gebot der Stunde, endlich konjunktur- und standortfördernde Maßnahmen zu setzen.

Was sollte die nächste Regierung Ihres Erachtens tun, um die heimische Konjunktur wieder in Schwung zu bringen?

Sie muss alles tun, um Impulse für öffentliche und private Investitionen zu setzen und den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verhindern: mehr AMS-Mittel für Vermittlung und Qualifizierung, Kurzarbeit punktuell und gezielt ausweiten, Arbeitsstiftungen als Instrument u.a. im Automotiv-Sektor einsetzen, befristete Investitionsförderungen, öffentliche Investitionen vorziehen, Netzausbau forcieren, Gemeindeinvestitionen forcieren sowie den öffentlichen Wohnbau. Gleichzeitig könnte eine Mietpreisbremse Mieterinnen und Mieter entlasten. Vieles davon findet sich im 10-Punkte ÖGB-Plan für Standort und Beschäftigung.

Es droht ein drittes Rezessionsjahr, wenn das Sparpaket so umgesetzt wird

Die SPÖ vertritt die Position, dass man bewusst in ein EU-Defizitverfahren hätte gehen sollen. Neben dem potenziellen Ansehensverlust auf den Börsen, hätte dann nicht ein Verschleppen wichtiger Reformen gedroht?

Im Defizitverfahren müssten wir in diesem Jahr 3,9 Mrd. Euro einsparen. Wenn man das Defizitverfahren in Kauf genommen hätte und wir 6,4 Mrd. Euro konsolidieren würden, dann hätten wir 2,5 Mrd. Euro zum Ausbau der Gesundheitsleistungen, der Kinderbildungsleistungen, für ein Konjunktur- und Standortpaket übrig. Ich glaube, dass das die Finanzmärkte und Ratingagenturen auch interessieren könnte. Wir haben jetzt keine Konjunkturmaßnahmen und es droht ein drittes Rezessionsjahr, wenn das Sparpaket so umgesetzt wird. Wir kennen Beispiele von exzessiven Sparpaketen, auf die die Ratingagenturen mit einem Downgrading geantwortet haben. Es ist ja auch nicht so, wie suggeriert wird, dass im Rahmen eines Defizitverfahren die Troika einmarschieren würde. Das betroffene Land wählt die Maßnahmen aus und die Europäische Kommission prüft mit Unterstützung der EZB den Maßnahmenvollzug. Was viele nicht beachten: Beim 7-Jahrespfad, auf den man sich geeinigt hat, kann die Kommission bei den Maßnahmen mitreden – das scheinen viele noch nicht realisiert zu haben.

Im Übrigen: Das Defizitverfahren ist keineswegs abgewendet. Die Europäische Kommission wird im Mai die österreichische Situation neu bewerten. Wenn dann, wie zu befürchten ist, die Konjunktur schwächer als angenommen ist, werden die 6,4 Mrd. Euro nicht ausreichend sein und man wird nachschießen müssen.

Über Strukturreformen im Staatswesen wurde bis jetzt noch kaum geredet. Wo gebe es aus Ihrer Sicht dringenden Reformbedarf, um auch langfristig Kosten zu sparen und den Wirtschaftsstandort zu stärken?

Dass Verwaltungsabläufe so effizient wie möglich sein sollten, versteht sich von selbst. Dass KI, insbesondere im Dienstleistungsbereich enormes produktivitätsförderndes Potenzial bietet, ist auch unbestritten und hier stehen wir so ziemlich am Anfang. Skeptisch bin ich aber bei Vorschlägen zur Effizienzsteigerung mancher sogenannter Thinktanks, die suggerieren, man könne durch Strukturreformen, sei es im Föderalismus oder im Gesundheitswesen, enormes Einsparungspotenzial erzielen – die Patientenmilliarde hat uns eines Besseren belehrt.

Zur Person

Helene Schuberth ist ÖGB-Chefökonomin und Bundesgeschäftsführerin für Grundlagen und Interessenspolitik. Seit Mai 2022 leitete sie das Volkswirtschaftliche Referat des ÖGB. Zuvor war sie in verschiedenen Positionen in der Österreichischen Nationalbank tätig, zuletzt als Leiterin der Auslandsanalyseabteilung.