Interview von Stephan Frank und Christoph Hofer
Deregulierungs-Staatssekretär Sepp Schellhorn (Neos) kündigt im Selektiv-Interview an, das Berichtswesen bis zum Ende der Legislaturperiode um 50 Prozent reduzieren zu wollen. Mit einem Bundesraumordnungsrahmengesetz will er die föderalen Strukturen entflechten und die schnellere Umsetzung von wichtigen Infrastrukturprojekten ermöglichen. Weiterhin will Schellhorn an der Neos-Kernforderung der Steuerhoheit für die Bundesländer festhalten – zumindest teilweise sollen die Ermessensausgaben den Bundesländern zugesprochen werden. Bei der Umsetzung des Freihandelsabkommens Mercosur sieht er vor allem seitens der Landwirtschaft ein Entgegenkommen.
Welches Werkzeug sagt Ihnen zur Entbürokratisierung mehr zu – die Kettensäge oder das Skalpell?
Sepp Schellhorn: Fairerweise muss man dazusagen, dass Niko Alm und ich damals die Kettensäge als politische Metapher erfunden haben, als wir die Lohnnebenkosten senken und „fällen“ wollten. In Österreich wird es aber ein Zwischending brauchen. Das Skalpell ist keine schlechte Metapher – weil wir ins Innere gehen müssen, ins Innere des Landes. Stichwort Verwaltungsreform, Budgetsanierung, Föderalismus und Förderalismus – um bei den medizinischen Vergleichen zu bleiben, wir hängen an der Herz-Lungen-Maschine in Österreich.
Haben Sie eine konkrete Benchmark, ein Land, von dem sich Österreich punkto Deregulierung und effizienter Verwaltung etwas abschauen kann?
Eine Benchmark wäre sicher Estland, aber die haben nach dem Zerfall der Sowjetunion von Null angefangen. Österreich hingegen ist durch die Monarchie zu einem Beamtenstaat erwachsen und jetzt leben wir in einer gewissen Hassliebe zu bürokratischen Formen. Eine weitere Benchmark wären die Niederlande, dort gibt es seit 25 Jahren ein Expertengremium für Entbürokratisierung.
Wir merken in allen unseren europäischen Nachbarländern, dass das Thema Entbürokratisierung wirklich unter den Nägeln brennt. Sowohl auf nationaler Ebene als auch auf europäischer Ebene braucht es gemeinsame Anstrengungen – vor allem bei Berichtswesen und Regulierungen muss der europäische Kontext beachtet werden. Kommissionspräsidentin Von der Leyen hat eine Reduktion um 25 Prozent angekündigt – ich glaube, da geht noch ein bisschen mehr.
Ich habe mir das Ziel gesetzt, das Berichtswesen in Österreich um 50 Prozent zu reduzieren.
An welchen Kennzahlen würden Sie nach Ablauf der Legislaturperiode in 5 Jahren Ihren Erfolg messen?
Als Unternehmer habe ich immer unter diesem Berichtswesen gelitten. Ich habe 70 Tage im Jahr einen eigenen Mitarbeiter nur dafür bezahlen müssen, dass er alle Unterlagen für drei verschiedene Standorte dokumentiert und archiviert. Ich habe mir also das Ziel gesetzt, das Berichtswesen in Österreich um 50 Prozent zu reduzieren.
Diese Bundesregierung ist willens, hier deutlich zu entlasten. Da wir aufgrund der Budgetsituation keine steuerlichen Entlastungen geben können, werden wir bei den bürokratischen Auflagen deutlich entlasten. Wir sollten bei künftigen Gesetzen auch eine „One-in-One-out“-Regel anstreben, ideal wäre natürlich „One-in-Two-out“.
Ist Österreich für Sie ein Tourismusland oder eine Industrienation?
Der Tourismus wurde früher sehr unterschätzt, auch der Tourismus ist in gewissem Sinne ein Exportgut. Gerade seit der Covid-Krise erleben wir, wie wichtig der Tourismus für Wirtschaftsaktivität und Investitionsfreudigkeit ist. Gleichzeitig ist der Industriestandort einer der wichtigsten, weil er in der Masse die Arbeitsplätze schafft. Da blicke ich selbst mit großer Sorge darauf, denn Österreich ist in der Wettbewerbsfähigkeit laut Studien um 10 Plätze zurückgefallen. Wenn ich es gewichten müsste, würde ich sagen, 70 zu 30 für die Industrie.

Stichwort Wettbewerbsfähigkeit – die Probleme der Industrie liegen auf der Hand: Energiekosten, Personalkosten, Bürokratiekosten. Was muss dann für eine „Industriestrategie“ noch erarbeitet werden? Wann kann man mit der Präsentation und Umsetzung der Strategie rechnen?
Die Industriestrategie ist sozusagen das Jahresprogramm von Wirtschaftsminister Hattmannsdorfer, Infrastrukturminister Hanke und mir selbst. Wir müssen gewisse Stakeholder einbeziehen – aber wir brauchen keinen Sesselkreis, wo sich alle melden und wir dann den kleinsten gemeinsamen Nenner finden. Wir wissen ja, woran es hakt. Wir werden als Regierung gemessen werden – der Herr Gewerkschaftspräsident und der Herr Wirtschaftskammerpräsident bleiben leider noch sitzen. Eine schlanke, moderne, mutige Strategie täte uns nicht schlecht.
Die Senkung der Lohnnebenkosten ist im Regierungsprogramm nur unter Budgetvorbehalt vorgesehen. Wie zuversichtlich sind Sie, dass es im Jahr 2027 ausreichend Spielraum für Entlastung geben wird?
Ich bin hier sehr zuversichtlich. Realpolitisch haben wir jetzt ein Fenster von drei Jahren, in denen keine Wahlen vorgesehen sind und Reformen angegangen werden können. Gleichzeitig sitzen bis auf ein Bundesland alle Parteien auch in der Bundesregierung. Dieses Zeitfenster und diese Chance müssen wir nützen, denn es ist unsere letzte Chance.
Ein Instrument für Entlastung und Reform soll die „Förder-Taskforce“ sein. Wie wird diese Taskforce beschickt werden, wer sitzt da drinnen?
Die konkrete Ausgestaltung der Förder-Taskforce obliegt dem Finanzministerium. Ich werde aber mit Sicherheit Teil der Taskforce sein. Wenn wir im Bereich der Förderungen die Doppel- und Dreifachgleisigkeiten durch ein Kumulierungsverbot abschaffen könnten, könnten wir ein Potential von 4 Milliarden Euro heben. Ich bin hier vom Reformwillen der Länder und Gemeinden überzeugt.
In Niederösterreich wurde etwa erst mit Jänner 2025 eine neue Förderung für die Sanierung von Kellergassen eingeführt. Haben wirklich alle Länder den Ernst der budgetären Lage erkannt?
In Niederösterreich gab es auch die sogenannte Schnitzelprämie, die mit 2-3 Mio. Euro dotiert war – abgerufen wurden aber nicht einmal 100.000 Euro. Da muss man sich die Frage stellen, wo ist der Rest? Wenn Fördertöpfe ausgelobt werden, die dann nicht abgeholt werden, wo landet dann der Rest? Auch diese Thematik möchte ich extra beleuchten. Die Sinnhaftigkeit sehr vieler Förderungen muss hinterfragt werden.
Man könnte wohl argumentieren, dass eine Kellergassen-Förderung der Ortsstruktur weiterhilft, aber solche Maßnahmen müssen konzentrierter ablaufen. Durch die Kompetenzaufteilung bei der Raumordnung wurden die Ortszentren faktisch vernichtet und jetzt muss viel Geld in die Hand genommen werden, um die Ortskerne wieder zu beleben – das ist per se ein Irrsinn.
Wäre also auch eine Reform der Raumordnung ein Projekt für diese Legislaturperiode?
Wie schon oft berichtet wurde, gibt es kein anderes Land in Europa, das so viele Supermärkte hat wie Österreich. Gleichzeitig gibt es kein anderes Land, wo die Ortszentren so ausgedörrt sind. Wir brauchen ein Bundesraumordnungsrahmengesetz, um sowohl die Landeshauptleute als auch die Bürgermeister zu entlasten. Mit 9 verschiedenen Gesetzgebungen im Baurecht, im Baurichtliniengesetz oder eben in der Raumordnung werden wir die Herausforderungen unserer Zeit nicht bewältigen können. Wenn etwa ein Anlageverfahren über 10 Jahre benötigt, der Bau dann weitere 5 Jahre, der ROI aber nur 5 Jahre – dann zeigt das, dass wir ein Bundesraumordnungsrahmengesetz brauchen, um infrastrukturelle Maßnahmen schneller durchsetzen zu können.
Eine langjährige Forderung der Neos ist die Steuerhoheit bzw. Steuerautonomie für die Bundesländer, vor wenigen Wochen hat sich auch Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger erneut dafür ausgesprochen. Davon steht aber nichts im Regierungsprogramm – ist es realistisch, dass in diesem Bereich etwas passiert?
Wir Neos wollen zu einem gewissen Teil die Steuerhoheit auf die Bundesländer übertragen. Wie regeln wir es denn sonst? So wie jetzt kann es nicht weitergehen. Man könnte etwa 20 Prozent der Ermessensausgaben den Bundesländern zusprechen. Salzburg hat etwa nur Ermessensausgaben von 2,8 Prozent – der Rest kommt über den Bund. Wir brauchen hier einen Mittelweg.
Es gibt bei Bildung, Pflege und Gesundheit zwischen Bund und Ländern derartige Kompetenzunterschiede, irgendwo ist irgendwer für irgendwas zuständig – aber der Bund muss es bezahlen. Wir sind es den Bürgern schuldig, dass wir die Ausgaben auch effizient einsetzen. Wir können hier nicht immer mit dem Finger auf andere zeigen.
Wechseln wir von der Landes- auf die EU-Ebene. Seit 2010 (Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon) hat sich das Ausmaß der EU-Gesetzgebung verdoppelt. Haben die liberalen und bürgerlichen Kräfte im EU-Parlament Ihres Erachtens versagt, wenn es darum ging, Bürokratie im Zaum zu halten? Hat man da nicht in den letzten Jahren den Blick auf das Wesentlichen verloren?
Wir haben den Blick auf das Wesentliche verloren, da stimme ich zu. Teile der liberalen Kräfte haben aber immer schon davor gewarnt, dass wir im kontinentalen Wettbewerb zwischen den USA, China und Russland nicht bestehen werden können, sondern in Bürokratie ertränkt werden.
Alleine im Bereich der Nachhaltigkeitsberichte gibt es über 100 Verordnungen, das sind 16.000 Seiten. Wir überregulieren uns. Hier hat sich etwas verselbstständig, das wir wieder einfangen müssen. Auch eine Omnibus-Regelung hilft uns in dem Fall nicht weiter – denn hier werden die Regelungen nur ausgesetzt. Das ist keine Deregulierung. Wir müssen zum Bewusstsein kommen, dass wir zum Beispiel beim Lieferkettengesetz oder der Entwaldungsverordnung den falschen Weg gehen. Hier müssen Unternehmen andere Unternehmen kontrollieren – das ist völlig sinnlos.

Was erwarten Sie sich von der Omnibus-Initiative auf EU-Ebene? Werden Sie bzw. die Bundesregierung eigene Vorschläge einbringen, wo man eben doch etwas tatsächlich deregulieren könnte?
Das ist meine Mission. Ich fahre ja nicht auf einen Kaffee-Tratsch nach Brüssel. Wir sind jetzt im Mai drei Tage in Brüssel, wo wir uns aktiv auch für Deregulierung einsetzen werden. Wir werden eine sehr starke Stimme sein und Widerstand macht bekanntlich stärker. Nicht umsonst ist das Außenministerium auch der Platz, wo man auf EU-Ebene auch dementsprechend arbeiten wird.
Das selbstbewusste Auftreten von Beate Meinl-Reisinger ist hierbei besonders wichtig. Die österreichische Politik hat ihre Rolle in Europa in der Vergangenheit nicht so selbstbewusst ausgelegt, sondern immer auf Brüssel geschimpft. Das fällt uns jetzt auf den Schädel. Wir werden jetzt dafür abgewatscht und auch die Industrieunternehmen werden dafür abgewatscht, weil sie diesen Verordnungswahnsinn einfach auch nicht mehr mitmachen können.
Den Abbau von „gold plating“ – also der Übererfüllung von EU-Rechtsakten – hätte Österreich aber selbst in der Hand.
Im „gold plating“ sind wir immer schon Weltmeister gewesen, da führen wir haushoch. In Österreich hat man mit der Umsetzung in nationales Recht bis zum Schluss gewartet und dann noch eins oben draufgelegt. So war das beispielsweise auch beim Ärzte-Arbeitszeitgesetz, dessen Umsetzung uns bis heute auch die Kosten um die Ohren schmeißt.
Im Regierungsprogramm kommt der Begriff „gold plating“ aber gar nicht vor. Gibt es einen Plan der Koalition zur Reduktion von „gold plating“?
Im Regierungsprogramm steht der Begriff nicht drinnen, weil wir auch Kompromisse machen mussten. Es ist aber allen drei Regierungsparteien bewusst, dass wir liefern müssen. Gerade im Bereich des „gold plating“ sehen wir auch große Signale bei der SPÖ, dass wir hier etwas verändern können.
Im „gold plating“ sind wir immer schon Weltmeister gewesen.
Wie steht es denn innerhalb der Koalition um das Freihandelsabkommen Mercosur? Werden die Koalitionsparteien den ablehnenden Beschluss aus 2019 umkehren?
Man sieht auch aufgrund dieses Trump’schen Wahnsinns, dass die Politik der Neos der letzten 12 Jahre immer die richtige war – dass es gute Handelsabkommen geben muss. Wir waren immer schon ein Befürworter von TTIP, natürlich auch von Mercosur. Es gibt auch schon Gespräche, wo sich der Herr Landwirtschaftsminister dazu bereit erklärt hat, über Mercosur zu reden. Es ist wichtig, dass wir gerade in Zeiten dieser handelspolitischen Unsicherheiten weitere Freihandelsabkommen abschließen können. Aber Rosinenpicken wird es nicht geben.
Für Schlagzeilen und viel Aufregung hat letzte Woche Ihr neuer Dienstwagen gesorgt – hätten Sie vielleicht nicht doch einen Skoda statt einem Audi ordern sollen?
Erstens: Ich habe prinzipiell nichts geordert. Zweitens gibt es Rahmenverträge, die die Bundesregierung unterschrieben hat und die über die Bundesbeschaffungsagentur laufen. Drittens wurde durch die neue Ausschreibung der Vertrag billiger – wir sparen ein Drittel der Leasingkosten!
Ständig suchen wir bei dem anderen einen Fehler. Erst letzte Woche haben wir etwa die Saisonkontingente im Tourismus erhöht, dafür könnte man uns kritisieren. Aber da ist einem wohl nichts eingefallen.
Neiddebatten und Hasstiraden bringen uns überhaupt nicht weiter. Man muss erkennen, dass diese Bundesregierung in den letzten 60 Tagen wirklich viel weitergebracht hat und keinen Fehler gemacht hat. Das stört den politischen Mitbewerber wohl sehr.