Vor Beginn des Ukraine-Kriegs war Österreich in dem Land der fünftgrößte Auslandsinvestor. Dass das nach dem Krieg auch wieder so sein wird, ist nicht gesetzt. „Wenn Österreich vorbereitet ist, gelingt es aber vielleicht, dort etwas aufzubauen, was über den kurzfristigen Konjunkturimpuls hinausreicht – insbesondere, wenn es die Ukraine schafft, sich langfristig in die europäische Wirtschaft zu integrieren“, sagt Wolfgang Schwarzbauer, Ökonom bei EcoAustria, der in einer Studie analysiert hat, welche Stärken Österreich im Wiederaufbau der Ukraine ausspielen könnte und was es dafür braucht.
Der Wiederaufbaubedarf in der Ukraine wird auf 524 Milliarden Dollar geschätzt – wie kommt so eine Schätzung zustande und was fällt da alles hinein?
Wolfgang Schwarzbauer: Das ist die mittlerweile vierte Schätzung zu den Ukraine-Schäden von Weltbank, der ukrainische Regierung, der EU-Kommission und der UNO. Dabei werden die Schäden an Infrastruktur, Unternehmen, Energieinfrastruktur, Schulen, Krankenhäusern und ähnlichem abgeschätzt. Gleichzeitig wird aber auch ein „Building back better“-Prinzip eingepreist, also ein Upgrade der Infrastruktur. Das ergibt diese hohe Summe von 524 Milliarden Dollar im Vergleich zum BIP der Ukraine mit 180 Milliarden Dollar.
Woher wird dieses Geld kommen?
Der ukrainische Wiederaufbau wird durch die internationale Staatengemeinschaft, durch Spenden und Initiativen öffentlicher Einrichtungen und privater Unternehmen finanziert.
In Ihrer Studie haben Sie sich angesehen, in welchen Bereichen sich österreichische Unternehmen beim Wiederaufbau einbringen könnten. Welche sind das?
Bei der Schätzung der Schäden gibt es 18 Unterkategorien, die wiederum unterteilt sind in Schuttbeseitigung bis Wiederaufbau. Wir sind alle diese Kategorien durchgegangen und haben und überlegt, welche Branchen dafür notwendig sind. In erster Linie ist das die Bauwirtschaft, aber auch sämtliche Industrien, die der Bauwirtschaft zuarbeiten wie die Stahlindustrie, weitere Baumaterialien, Chemikalien und dergleichen. Dann haben wir uns angesehen, in welchen dieser Bereiche Österreich im internationalen Vergleich Stärken hat. Das ist neben der Bauwirtschaft die Stahl- und Metallverarbeitung, der Maschinenbau, IT-Infrastruktur und -Dienstleistungen sowie die Holzverarbeitung. Das sind aber auch Freiberufliche, wirtschaftliche und technische Tätigkeiten. Dabei geht es um Planer von Anlagen und Infrastruktur – das könnte viel österreichische Wertschöpfung auslösen, weil die natürlich mit österreichischen Firmen zusammenarbeiten.
Wie stark könnte der Effekt für Österreich sein? Kann uns ein Ende des Ukraine-Kriegs aus der schwachen Wirtschaftsentwicklung helfen?
Einerseits kann man durch die Teilnahme an Wiederaufbau-Initiativen die konjunkturelle Schwäche zum Teil ausgleichen. Andererseits geht es aber auch darum, österreichische Unternehmen mittelfristig gut in der Ukraine zu positionieren. Österreich war vor dem Krieg laut ukrainischer Nationalbank der fünftgrößte Auslandsinvestor in der Ukraine. Das kann sich im Wiederaufbau natürlich ändern, denn da werden viele europäische Staaten mitmischen. Wenn Österreich vorbereitet ist, gelingt es aber vielleicht, dort etwas aufzubauen, was über den kurzfristigen Konjunkturimpuls hinausreicht – insbesondere, wenn es die Ukraine schafft, sich langfristig in die europäische Wirtschaft zu integrieren.
„Es geht auch darum, österreichische Unternehmen mittelfristig gut in der Ukraine zu positionieren.“
Wolfgang Schwarzbauer
Österreich hat in den vergangenen Jahren an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Schmälert das unsere Chancen, an solchen Impulsen aus dem Ausland teilzuhaben – egal ob das jetzt das deutsche Investitionspaket ist oder ein mögliches Ende des Kriegs in der Ukraine.
Vom Volumen her ist Deutschland da sicher noch relevanter. Aber, ja, es wird schwieriger, daran teilzuhaben. Österreich ist immer schon ein Hochlohnland gewesen und hat durch Qualität gepunktet. In diesem Punkt haben andere Staaten in Mitteleuropa aber sehr stark aufgeschlossen – Tschechien etwa oder Slowenien. Dort gibt es ähnliche industrielle Spezialisierungen. Das sind auch Länder, die ebenfalls in der Ukraine engagiert sind und ebenfalls an Deutschland als Exportmarkt hängen. Es wäre gut, wenn wir die Inflationsdynamik und die Lohndynamik besser in den Griff bekommen würden.
Welche Weichenstellungen würden noch helfen, damit österreichische Unternehmen die Potenziale im Ukraine-Wiederaufbau gut heben können?
Das institutionelle Setup ist schon da – es gibt einen Contact-Point Ukraine und einen entsprechenden Regierungskoordinator. In die richtige Richtung gehen auch die Ukraine-Fazilität und ein Set an Maßnahmen von Finanzministerium und Kontrollbank. Derzeit läuft das alles aber auf Sparflamme, was auch verständlich ist, denn dort herrscht nach wie vor Krieg und man weiß nicht, wie es weitergeht. Aber die Instrumente sind da und man kann sie im besten Fall hochfahren, wenn es so weit ist. Aus unserer Sicht wäre noch gut, wenn es gelingt, eine stärkere Verbindung Ukraine-Österreich zu schaffen – auf nationalstaatlicher Ebene, aber auch regional und auf Ebene der Kommunen. Wir müssen in der Ukraine als Partner wahrgenommen werden – wir liefern zwar keine Waffen, aber wir helfen in anderen Bereichen, die ebenso wichtig sind. Wir können uns auch im institutionellen Aufbau nach dem Krieg engagieren – beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen und bei der Korruptionsbekämpfung. Eine breite Unterstützung mit Exportgarantien wäre jetzt aber noch verfrüht, auch wenn es durchaus schon Unternehmen gibt, die in internationalen Calls aktiv sind und beispielsweise hochqualitative Schienen in die Ukraine liefern, wie die voestalpine.
„Ein schwieriger Punkt wird noch, die vielen gut ausgebildeten Menschen zurückzuholen, die nach Westeuropa migriert sind.“
Wolfgang Schwarzbauer
Gibt es Erfahrungswerte, wie lange eine Phase des Wiederaufbaus nach einem Krieg dieses Ausmaßes dauert?
In internationalen Dokumenten ist da von teilweise fünf bis zehn Jahren die Rede. Ich denke, dass der erste Impuls bis zu vier Jahre dauern wird und dann ist es idealerweise eine sich selbst tragende Entwicklung, in der die unternehmerische Tätigkeit und die Vernetzung zunimmt. Ein schwieriger Punkt wird noch, die vielen gut ausgebildeten Menschen zurückzuholen, die nach Westeuropa migriert sind. Das wird auch davon abhängen, wie gut es gelingt, die Ukraine in eine neue Ära zu führen und nicht zurück in die 2010er-Jahre, die durch Defizite in der Rechtsstaatlichkeit und bei der Korruption geprägt waren.