Vergangenen Freitag lud EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Automobilindustrie bereits zum dritten Mal in diesem Jahr zu einem strategischen Dialog. Das Ergebnis: Die CO2-Grenzwerte sollen bereits heuer statt im kommenden Jahr überprüft werden. Bis 2035 sollen die von Autoherstellern neu verkauften Autos um 100 Prozent weniger Emissionen ausstoßen. Dieser Grenzwert, auch bekannt als Verbrenner-Verbot, steht nun am Prüfstand. Stephan Schwarzer setzt sich seit Jahren für eine Technologieoffenheit ein und ist überzeugt, dass das 100-Prozent-Ziel mit E-Fuels als Treibstoff von Hybrid-Autos erreichbar wäre. Das Aus für das Verbrenner-Verbot hält er für realistisch: „Mich wundert es, dass es noch nicht am Freitag angekündigt wurde.“
Am Freitag lud Ursula von der Leyen wieder zu einem Auto-Gipfel mit dem Ergebnis, dass die CO2-Grenzwerte für Autohersteller in Europa heuer statt im kommenden Jahr überprüft werden. Das klingt nicht nach einem großen Wurf.
Stephan Schwarzer: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. 2022 wurde beschlossen, dass ab 2035 keine neuen Verbrenner mehr zugelassen werden. Damals wurde festgelegt, dass die Grenzwerte dafür 2026 überprüft werden. Das wird nun auf 2025 vorgezogen. Ich hoffe natürlich, dass man nicht nur prüft, sondern auch etwas ändert.
Also, dass man das Verbrenner-Verbot aufweicht?
Im Prinzip ist allen klar, dass das geändert werden muss. Es stört schon sehr, dass man da jetzt noch eine Nachdenkpause braucht. Es geht ja nicht um eine Entscheidung Klimaschutz oder Standort. Es geht darum, dass man den Klimaschutz intelligenter macht, indem man alle Optionen zulässt. Davon würde der Klimaschutz profitieren. Es geht nicht darum, die Grenzwerte zu killen, sondern alle Möglichkeiten zuzulassen, um diese Grenzwerte zu erreichen. Dafür gibt es mehrere technische Lösungen und E-Autos sind eine davon. Die E-Mobilität kommt aber nicht so schnell voran, wie das im Jahr 2019 und danach erwartet wurde.
Es geht darum, dass man den Klimaschutz intelligenter macht, indem man alle Optionen zulässt.
Stephan Schwarzer
Wie weit ist die Industrie beim Entwickeln anderer Technologien?
In Deutschland gibt es mittlerweile nicht nur einen Klimadiesel, sondern auch Klimabenzin. Das kann man bereits tanken, auch wenn es derzeit noch teurer ist. Und dann gibt es noch den schlafenden Riesen der E-Fuels, die noch nicht tankbar sind. Das liegt vor allem an der Regulierung, aber bis 2035 wäre noch genug Zeit, um große E-Fuel-Projekte zu realisieren. Und dann gibt es natürlich die Option der Hybriden. Der eine Teil wäre elektrisch – hoffentlich mit erneuerbarem Strom – und der andere Teil wird hoffentlich mit erneuerbaren Fuels betrieben.
Europa hat nicht rechtzeitig auf E-Autos gesetzt und ist ins Hintertreffen geraten. Fürchten Sie, dass uns das auch bei E-Fuels droht? Ist das etwas, woran in China bereits stark gearbeitet wird?
China hat die Absicht, alle diese Bereiche zu dominieren und entwickelt bereits E-Fuels. Wir stehen nicht an der Entscheidung, ob wir E-Autos machen oder nicht, sondern ob wir E-Fuels machen. Bei E-Autos können wir nicht mehr leicht aufholen. Bei E-Fuels werden die Karten gerade neu gemischt und wenn Europa zu lange zuwartet, wird auch dieser Zug abfahren.
Sie warnen vor hohen Strafzahlungen für europäische Autohersteller, wenn die CO2-Grenzwerte nicht überarbeitet werden. In welchen Fällen würden diese Strafen fällig?
Die werden leider schon 2025 fällig und sind auch schon davor fällig geworden. Die Automobilverbände gehen für 2025 von insgesamt 16 Milliarden Euro aus. Für jedes zu viel verkaufte Verbrennerauto muss man eine Kompensationszahlung leisten. Diese Strafzahlungen sind so konstruiert, dass man entweder der EU-Kommission direkt die Strafe zahlt oder den Konkurrenten wie etwa Tesla oder BYD. Die stellen nur E-Autos her und können ihre Verbrenner-Quote an europäische Hersteller verkaufen. Das tun europäische Hersteller auch, weil es etwas billiger ist als die Strafen. Das tut natürlich weh, den Konkurrenten aus den USA und China Geld zahlen zu müssen.
EVP-Chef Manfred Weber hat noch für Herbst das Aus für das Verbrenner-Aus versprochen. Halten Sie das für realistisch?
Ja, das Aus für das Verbrenner-Aus ist realistisch. Mich wundert es, dass es noch nicht am Freitag angekündigt wurde.
Woran könnte das noch scheitern?
Umwelt-NGOs setzen sich stark dagegen ein. Greenpeace macht sich Sorgen, dass Autofahrer zu viel bezahlen müssen, wenn sie E-Fuels tanken müssen. Müssen sie ja gar nicht. Und andere meinen, dass man die derzeitigen Ziele ohnehin erreichen kann – das dachten sie schon 2019 und es ist ganz anders gekommen. Nur ungefähr jeder fünfte Autokäufer entscheidet sich für ein reines E-Auto. Verbrenner-Autos werden nach wie vor gerne gekauft und Hybrid-Autos sind auf dem Vormarsch. Wir sehen, was passiert, wenn wir darauf nicht reagieren: Massive Arbeitsplatzverluste sind traurige Realität. Europäische Automobilhersteller verlieren Marktanteile und im Gleichschritt verlieren die österreichischen Zulieferer. Es geht um sehr gute Jobs mit hoher Kaufkraft.
Verbrenner-Autos werden nach wie vor gerne gekauft und Hybrid-Autos sind auf dem Vormarsch.
Stephan Schwarzer
Streng genommen ist das Verbrenner-Verbot ja kein Verbrenner-Verbot. Vorgeschrieben ist eine Reduktion der Emissionen um 100 Prozent. Würde es aus Ihrer Sicht reichen, statt dieser 100 Prozent z. B. 90 Prozent anzustreben, um Hybrid-Autos den Weg zu ebnen?
Mein Favorit ist nicht der Rabatt bei den Grenzwerten, sondern die Technologieoffenheit. Wenn man technologieoffen ist, braucht man den Rabatt nicht, weil der Verbrenner-Anteil mit E-Fuels betrieben werden könnte. Man muss das Problem bei der Wurzel anpacken, und zwar in der Art und Weise, wie man CO2 berechnet. Man muss zwischen fossilem CO2 unterscheiden und nicht-fossilem CO2, das im Kreislauf geführt wird. Diese Entscheidung kann man der Politik zutrauen.
Sie denken also, dass die 100 Prozent Reduktion der Emissionen mit E-Fuels erreichbar wäre, wenn man davon ausgeht, dass E-Fuels CO2-neutral sind?
Bis 2035 wäre das erreichbar. Wenn man hybrid fährt, braucht man aufgrund der Batterie ja auch weniger E-Fuels und gleichzeitig aufgrund der E-Fuels weniger große Batterien, was auch die Rohstoff-Abhängigkeit von China reduzieren würde. Die Politik muss sich das aber erarbeiten, durch eine ambitionierte, kluge E-Fuel-Strategie. E-Fuels sind anfangs teurer als Öl aus der Wüste, genauso wie vor 20 Jahren Kohlestrom billiger war als Solarstrom.