Christoph Boschan ist CEO der Wiener Börse © Wiener Börse/Daniel Hinterramskogler/Nik Pichler / Montage: Selektiv
Christoph Boschan ist CEO der Wiener Börse © Wiener Börse/Daniel Hinterramskogler/Nik Pichler / Montage: Selektiv
Interview

Wiener-Börse-Chef: „Österreich verharrt im Sparbuch-Schneckenhaus“

„Europas Kapitalmärkte verlieren an Wettbewerbsfähigkeit“, mahnt der Chef der Wiener Börse, Christoph Boschan. Für mehr Innovation und Wachstum müssen Liquiditätspools geschaffen werden: „Die mutigen Entscheidungen müssen auf nationaler Ebene fallen. Allein hier liegt die politische Zuständigkeit für Steuern und Pensionssystem“. In anderen europäischen Ländern würden längst „Kapitalmarkt-Raketen“ gezündet. „IPO-Kosten steuerlich absetzen? Für Österreich klingt das nach einer liberalen Verschwörung, in Griechenland ist das Wirtschaftspolitik“, führt Boschan als Beispiel an.

Spätestens seit den Berichten von Letta und Draghi vergangenes Jahr, hat die EU-Kommission das Thema Kapitalmarkt-Union wieder auf der Agenda. Geht hier auch tatsächlich etwas voran?

Christoph Boschan: Hand aufs Herz: Nach zehn Jahren politischer Debatte über eine Kapitalmarkt- oder Spar- und Investitionsunion fehlt weiterhin die Substanz. Die EU träumt von einem gemeinsamen Kapitalmarkt. Einem Raum, in dem Sparen wieder Sinn ergibt, Investitionen fließen, Pensionssysteme entlastet werden, Start-ups zu Scale-ups heranwachsen und Wirtschaftswachstum gestärkt wird. Klingt vernünftig. Zukunftsgerichtet. Nachhaltig. Draghi und Letta haben Berichte geschrieben, die ich nur unterzeichnen kann. Jüngst hat die Kommission kommunikativ nachgelegt, mit einem Appell zur Stärkung der Finanzbildung und steuerlichen Anreizen für Anlagekonten. Gut gemeint, aber nicht genug. Denn Im Gegenteil, Europas Kapitalmärkte verlieren an Wettbewerbsfähigkeit.

Warum?

Weil diese Initiativen das Kernproblem nicht adressieren. Was wir wirklich brauchen, sind größere Liquiditätspools, um Innovation und Wachstum zu finanzieren. Das würde sicherstellen, dass europäische Unternehmen an unserem schönen Kontinent an die Börse gehen, anstatt in Übersee. Diese Pools entstehen nur, wenn unsere Pensionssysteme stärker mit dem Kapitalmarkt verknüpft werden. Doch genau hier endet Brüssels gesetzgeberischer Einfluss. Die mutigen Entscheidungen müssen daher auf nationaler Ebene fallen. Allein hier liegt die politische Zuständigkeit für Steuern und Pensionssystem.

Die mutigen Entscheidungen müssen auf nationaler Ebene fallen. Allein hier liegt die politische Zuständigkeit für Steuern und Pensionssystem.

Christoph Boschan

Wie steht Österreich im europäischen Vergleich da?

Während Österreich gemütlich im Sparbuch-Schneckenhaus verharrt, und die politische Führung darauf wartet, dass sich die Wirtschaft von selbst regeneriert, zünden die Regierungen in Polen, Griechenland und Bulgarien längst Kapitalmarkt‑Raketen. Als Börsechef packt mich angesichts dieser Dynamik regelrechte Eifersucht. Beim vierten Vienna Summit kürzlich in Wien konnte ich nicht anders: Ich habe drei symbolische Awards an meine Kollegen aus den entsprechenden Ländern vergeben.

Was machen diese Länder besser als wir?

Der erste Platz geht an Polen. Mit den „PPK“ (pracownicze plany kapitalowe) hat die Regierung 2019 ein Modell eingeführt, das nicht nur ambitioniert klingt, sondern auch wirkt: Arbeitnehmer-Vorsorge, Aktienquote, Investitionsvorgaben mit lokalem Fokus – mindestens 40 % fließen in Aktien des WIG20, mindestens 20 % in OECD-Märkte. So werden Altersvorsorge und Kapitalmarktentwicklung strukturell und langfristig miteinander verknüpft. 2025 sind bereits über die Hälfte der Beschäftigten automatisch in dieses kapitalgedeckte Vorsorgemodell eingebunden. Punktlandung. 2025 kündigte die Regierung mit dem OKI (steuerfreies Investmentkonto bis 100.000 Zloty) den nächsten Turbo für den privaten Vermögensaufbau an.

Den zweiten Platz holt Griechenland. Nach einem Jahrzehnt Sparzwang hat Athen offenbar Geschmack an Kapitalmarktwachstum gefunden. IPO-Kosten steuerlich absetzen? Für Österreich klingt das nach einer liberalen Verschwörung, in Griechenland ist das Wirtschaftspolitik. Und ab 2025 wird’s noch besser: Es kommt ein Steuerbonus für KMU-Börsengänge von bis zu 200.000 Euro. Wie passend, dass ausgerechnet die Wiege der Demokratie den IPO-Motor befeuert!

IPO-Kosten steuerlich absetzen? Für Österreich klingt das nach einer liberalen Verschwörung, in Griechenland ist das Wirtschaftspolitik.

Christoph Boschan

Und der dritte Platz geht an Bulgarien. Flatrate-Steuer auf Kapitalerträge mit einer feinen Ausnahme: Wer in börsennotierte EU/EEA-Werte investiert, zahlt: nichts. Kapitalmarktneutralität auf Bulgarisch: einfach, effektiv und investorenfreundlich. In Wien hingegen reicht schon das Wort „Steuerfreiheit“, und der Verteilungsgerechtigkeits-Ausschuss verlangt eine Triggerwarnung.

Welche Entwicklung beobachten Sie in Österreich?

Hier vertraut man weiterhin auf das bewährte Modell: möglichst viel reden, möglichst wenig tun. Und sich dann wundern, warum junge Menschen ihr Pensionsloch lieber mit Krypto stopfen. Die Spar- und Kapitalmarktunion? Ein schönes Papier. Leider ohne Unterschrift essenzieller Mitgliedsstaaten, nämlich der alpinen. Denn Finanzbildung allein wird Europas Wettbewerbsfähigkeit nicht retten. Wer es ernst meint mit Kapitalmarktentwicklung braucht mehr als gute Absichten. Wir haben mit Ländern wie Schweden, Dänemark oder den Niederlanden längst europäische Blaupausen für teilweise kapitalmarktorientierte Vorsorgesysteme. Es ist an der Zeit, aufzuhören, sie zu bewundern und anzufangen, nach diesen Vorbildern im eigenen System umzusetzen.