Die Wall Street straft Enttäuschungen besonders hart
Monika Rosen war mehr als 20 Jahre Chefanalystin einer heimischen Großbank. In ihrer aktuellen Funktion als Vizepräsidentin der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft ist sie weiterhin gefragte Spezialistin zu allen Themen rund um den Finanzmarkt.
Die Halbjahresberichte der US-Unternehmen liegen bereits zu mehr als zwei Dritteln vor und es zeigt sich dabei ein durchaus ungewöhnlicher Trend: Die Unternehmen können in Reaktion auf ihre Zahlen offenbar nur dann mit Kursanstiegen rechnen, wenn das Ergebnis quasi perfekt ausfällt. Bei der kleinsten Enttäuschung, oder wenn die Ergebnisse auch nur im Rahmen der Erwartungen ausfallen, ziehen sich die Anleger verschnupft zurück. Manche Kursreaktionen sind dabei durchaus als heftig, wenn nicht sogar als überzogen zu bezeichnen.
Wenn ein US-Unternehmen in der aktuellen Berichtssaison die Erwartungen bei Umsatz und Gewinn verfehlt, muss es im Schnitt mit einem Kursrückgang um 7,4 % rechnen (Zahlen von Evercore ISI). Der Schnitt der letzten fünf Jahre lag bei weniger als der Hälfte, nämlich 3,2 %. Auch wenn nur eine der beiden Kategorien verfehlt wird, knicken die Kurse überdurchschnittlich stark ein. Angesichts einer Rallye von über 30 % im S&P 500 seit Anfang April haben die Marktteilnehmer offenbar keinerlei Verständnis für irgendwelche Enttäuschungen.
„Gut“ ist offenbar auch nicht mehr gut genug.
Aber „gut“ ist offenbar auch nicht mehr gut genug. Advanced Micro Devices (AMD) legte Zahlen im Rahmen der Erwartungen vor und musste einen Kursrückgang von über 6 % hinnehmen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Wall Street mit besonderer Anspannung auf die Zahlen von Nvidia (NVDA) wartet. Das Unternehmen ist quasi der Nachzügler unter den Tech-Werten und berichtet erst am 26. August. Da die Aktie seit April bereits über 80 % zugelegt hat, könnten weitere Kursanstiege selbst bei guten Ergebnissen schwierig werden.
Das alles soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das zweite Quartal für die US-Unternehmen in Summe sehr positiv verlaufen ist. Der Gewinnanstieg der Werte im S&P wird sich wahrscheinlich auf knapp über 10 % (gemessen im Jahresvergleich) belaufen. Das wäre ein ausgezeichnetes Ergebnis und mehr als doppelt so viel, als per 30. Juni erwartet worden ist. Außerdem wäre dies jetzt das dritte Quartal in Folge mit einem zweistelligen Gewinnanstieg. Angeführt wird die Hitliste von den Tech-Werten, während Ölwerte einen Gewinnrückgang hinnehmen mussten. Für das dritte und vierte Quartal werden im S&P derzeit Gewinnsteigerungen von jeweils rund 7 % erwartet.