ZeitGeschichten von Gerhard Jelinek

Japans Aufbruch in die Moderne begann auch in Wien

16. Oktober 2025Lesezeit: 6 Min.
Kommentar von Gerhard Jelinek

Gerhard Jelinek ist ein österreichischer Journalist, Fernsehmoderator und Buchautor. Der Jurist und erfahrene Journalist gestaltete rund 70 politische und zeitgeschichtliche Dokumentationen und Porträts.

„Die großen Länder sind nicht zu fürchten, die Kleinen sind nicht gering zu schätzen.“ 

Resumee einer japanischen Fact-Finding-Mission. 2025 und vor gut 150 Jahren.

Am vergangenen Montag schloß die EXPO 2025 in Osaka ihre vielen Pforten. Nach anfänglichen Problemen wurde die Weltausstellung doch noch ein Publikumserfolg. Mehr als 25 Millionen Menschen drängten sich bis Montag auf dem EXPO-Gelände und warteten viele Stunden vor den Länder-Pavillonen auf Einlass. Unterm Strich soll die EXPO sogar einen Gewinn von rund 450 Millionen Euro verbucht haben. 

Für Österreichs Auftritt mußte man sich diesmal nicht genieren. Fast 1,2 Millionen Menschen wurden durch die Holzkonstruktion in Form eines geschwungenen Notenblattes geschleust. Die Japaner naschten 125.000 Portionen Kaiserschmarren. Heidi im Schweizer Nachbarpavillon war da ein bisschen neidisch. Die EXPO in Osaka war eher Disney-Land als futuristische Leistungsschau der Welt. Das war bei den ersten „Weltausstellungen“ noch anders.

Vor ziemlich genau 152 Jahren besuchte eine kleine japanische Abordnung die Wiener Weltausstellung im Prater („Die Rotunde ist so riesig, dass es jeden Besucher in Erstaunen versetzt.“) 1873 wollte/musste Japan von Europa lernen. Japans Aufbruch in die Moderne begann auch in Wien. 

Das fernöstliche Land präsentierte sich in der Haupt- und Residenzstadt des Habsburgerreichs vor gut 150 Jahren erstmals auf der Weltbühne – und löste eine Modewelle aus, den Japonismus, der vor allem die bildende Kunst in Europa stark beeinflusste. Aus Tokio reiste anno 1873 eine dreiköpfige Offiziersdelegation nach Wien um damals von der europäischen Moderne zu lernen.

Vor wenigen Tagen besuchte eine Gruppe österreichischer „Leitbetriebe“ die Weltausstellung in der Industriemetropole Osaka, die dieser Tage zu Ende ging. Auch Infrastruktur Minister Peter Hanke und Wiens Wirtschaftskammer-Präsident Ruck drängte es – kurz vor Torschluss – auf die EXPO 2025.

Können wir 2025 von Japan und seiner EXPO etwas mitnehmen, wie es der kaiserlichen Iwakura-Mission damals gelang? So unterschiedlich die Kulturen und Traditionen, die Größe und Wirtschaftskraft sind, das asiatische Kaiserreich und die Alpenrepublik haben durchaus ähnliche Probleme. Beide Gesellschaften kämpfen mit der demographischen Situation. Immer weniger Junge müssen die Pensionen der Alten zahlen. 

Japan kämpft seit Jahren mit einer stagnierenden industriellen Produktion und geringem (bis keinem) Wachstum, bei einer extremen Verschuldung von rund 250 % des BIP (!). 

Österreich hat sich seit drei Jahren für Japans Weg entschieden: schrumpfende Wirtschaft und Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit bei steigender Staatsverschuldung. 

Anders als Japan wächst Österreichs Bevölkerung durch massive Zuwanderung und verändert dadurch den Charakter des Landes. In Japan ist das keine Option. Nur drei Prozent der 122 Millionen Bewohner auf den vier Hauptinseln sind Ausländer. Trotz fehlender Arbeitskräfte aufgrund des Geburtenrückgangs (im Stadtbild der Städte dominiert freilich nach wie vor eine junge Gesellschaft) bleiben die Japaner weitgehend unter sich. Sie haben in den letzten Jahrzehnten gelernt, in einer alternden und schrumpfenden (vielleicht stabilen?) Gesellschaft zu leben. 

Anders als Japan wächst Österreichs Bevölkerung durch massive Zuwanderung und verändert dadurch den Charakter des Landes.

Gerhard Jelinek

Immerhin ist Japan noch immer die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt und Österreichs zweitgrößter Handelspartner in Asien – und Österreichs Name hat in Nippon einen guten Klang, was wörtlich zu nehmen ist. Wir werden als musikalische Großmacht bewundert. Es war kein Fehler, den österreichischen Pavillon auf dem EXPO-Gelände in Form eines gegen den Himmel wirbelnden Notenblattes aus Holz zu konstruieren und im ersten Raum einen Bösendorfer-Flügel aufzustellen, dessen Innenseite mit der berühmten „Welle“ des japanischen Künstlers Hokusei beschichtet ist. Im Wiener Parlament sorgte ein ähnlicher Flügel mit Jugendstil-Gold für schrille Dissonanzen. Andere Länder, andere Sitten.

Österreich war auf dieser Ausstellung mehrfach sicht- und hörbar. 

Osaka ließ für die Weltausstellung als architektonisches Statement auf einem einst desolaten Hafengelände eine gigantische Holzkonstruktion den „Grand Ring“ errichten, die größte der Welt. Sie ist/war das kreisrunde Rückgrat dieser von Millionen gestürmten Veranstaltung. Und die Hochgeschwindigkeitszüge des „Shinkansen“ wären ohne die Technologie des Linzer Unternehmens Plasser & Theurer kaum auf die Minute pünktlich: Sie sind es, mit fast ungeheurer Präzision, tatsächlich. Viele Zugverbindungen und innerstädtische Metrolinien werden in Japan übrigens privat betrieben. Der Massenverkehr auf der Schiene lässt Europäer immer wieder staunen: schnell, sicher, sauber und sehr billig. Es geht.

China hat Japan als asiatische Wirtschaftsmacht längst überflügelt, dennoch ist Japan nicht abzuschreiben. Die im Landschaftsbild unübersehbare Industrie hat wieder Tritt gefasst, vor allem auch wegen des „billigen“ Yen, der seit Jahren gegenüber dem Euro und Dollar ab- und die Konkurrenzfähigkeit der Industrie aufwertet. Das macht Japan derzeit auch zu einem begehrten Reiseland – vieles ist viel billiger als in Wien.

Obwohl das Durchschnittseinkommen in Japan deutlich geringer ist als in Österreich und die japanischen Arbeitnehmer gerade reale Lohnverluste hinnehmen müssen, gibt es (noch) keine rechts- oder linkspopulistische Parteien, die die seit sieben Jahrzehnten regierenden Liberaldemokraten ablösen könnten – trotz regelmäßiger Korruptionsaffären und Rücktritten der LPD-Ministerpräsidenten. Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung sind gerade wieder gescheitert, die Bevölkerung sehnt sich nach einem Neubeginn, freilich in den alten Strukturen. Japan ist traditionell und konservativ seit Jahrhunderten. Die möglicherweise erste weibliche Regierungschefin Sanae Takaichi (Österreich hat das seit Maria Theresia nicht geschafft) gilt übrigens als stramm konservativ. Ihr Vorbild: Margret Thatcher.

Als die kaiserlichen Iwakura-Mission im Jahre 1873 vom Hafen Triest mit dem Zug nach Wien reist, notieren die Herren eifrig ihre Beobachtungen. Besonders die Landschaft und der Bau der Semmering-Strecke versetzen die Japaner in Entzücken. Das fernöstliche Kaiserreich hatte sich entschieden (auf massiven Druck der Engländer), seine jahrhundertelange Isolation aufzugeben und Kontakte zu anderen Kulturen und Wirtschaftsräumen zu suchen – und zu lernen. Fast alles scheint den drei japanischen Offizieren auf Europa-Expedition berichtenswert. Sie informieren Tokio über das politische System in den unterschiedlichen Ländern ihrer monatelangen Reise, genauso wie über Uniformen, Bewaffnung und Ausbildung der jeweiligen Armeen. 

Kaum ein Detail bleibt unbeachtet: Von der Wiener Straßenbeleuchtung („Nachts werden Gaslampen entzündet, dann tauchen sie die Straßen in ein gleißend helles Licht“) bis zur detailgenauen Beschreibung der Straßenpflasterung („ein Quadratmeter Granit kostet durchschnittlich 10 Gulden“) bis zu den Verästelungen des k.u.k. Protokolls am Wiener Hof notieren die Offiziere akribisch so ziemlich alles für daheim – auch wie die Wiener auf der Weltausstellung auf den japanischen Pavillon reagieren: Delegationsleiter Kume Kunitake schreibt 1873 ins Logbuch: „Die heitere Stimmung der Wiener war unbeschreiblich.“

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