Schon wieder Zeit für eine neue „anti-westliche“ Weltordnung?

5. September 2025Lesezeit: 4 Min.
Bernhard Seyringer Illustration
Kommentar von Bernhard Seyringer

Bernhard Seyringer ist Politikanalyst. Seine thematischen Schwerpunkte fokussieren „Strategic Foresight“ und „Neue Technologien und Internationale Politik“. Seyringer ist zudem Experte für digitale Geopolitik.

Kommt sie jetzt also? Die neue Weltordnung? Ähnlich der Roboterherrschaft, die seit 1956 alle fünf Jahre zyklisch, die absolute und finale Weltherrschaft übernimmt, sind Journalisten nach jedem BRICS-Gipfel oder SCO-Summit (Shanghai Cooperation Organization) oder Sonst-Was-Konferenz sicher: Jetzt ist es so weit – eine anti-westliche, „multipolare“ Weltordnung sei im Entstehen. Und das seit den frühen 2000er-Jahren. Müsst ihr wirklich jede PR-Aktion diverser Despotenregimes apportieren? Und nein: Indien wechselt nicht ins anti-westliche Lager.

Natürlich braucht Indiens Premier Narendra Modi einen symbolischen Sieg, nach dem Strafzoll-Debakel mit den USA, um das starke nationalistische Lager in seiner eigenen Partei zufrieden zu stellen. In etlichen indischen Medien trampeln überdimensionale indische Elefanten rachelüstern auf eine amerikanische Maus zu. Das sind aber Größenverhältnisse, an die man wohl in Delhi selbst nicht so ganz glaubt. Und natürlich, sind sich sowohl Modi als auch Chinas Xi Jinping der Symbolik ihres Handschlags am SCO-Gipfel (31. August / 1.September) bewusst.

Präsident Modi hat ein Gespür für mediale Dynamiken und nutzt diese auch gerne für innenpolitisch dringend-benötigte Erfolge. Aber, er braucht US-Präsident Trump noch viel dringender. Indien richtet im November den Quad-Summit (Quadrilateral Security Dialogue) aus, der ohne die USA ein diplomatisches Desaster wäre. Und Indien braucht die US-Führung für ein tatsächliches Jahrhundertprojekt: Den India-Middle East Europe Corridor (IMEC). Die Alternative zur chinesischen Belt-and-Road-Initiative.

„Präsident Modi hat ein Gespür für mediale Dynamiken und nutzt diese auch gerne für innenpolitisch dringend-benötigte Erfolge.“

Bernhard Seyringer

Außerdem war es im Vorfeld des SCO-Gipfels viel zu laut: Ich denke nicht, dass die deutsche FAZ erfahren hätte, bei wie vielen angeblichen Anrufen von Präsident Trump, Präsident Modi angeblich nicht abgehoben hat, wenn das nicht gewollt gewesen wäre. Noch dazu, wo die indische Regierung zuvor zwei Public Affairs Agenturen von früheren Trump-Mitarbeitern beauftragt hat, um die Wogen zu glätten.

Ein überraschender Propaganda-Erfolg für China

Für China ist das ein willkommener und überraschender Propaganda-Erfolg. Der Slogan der „Osten steigt auf und der Westen ab“ (dongsheng xijiang) sowie die „unumkehrbare“ Entwicklung in Richtung einer „multipolaren Welt“, sind ein fixer Bestandteil der chinesischen Propaganda, seit Mitte der 1980er Jahre. Aus Sicht der Außenpolitik ist somit alles gut, was gegen die USA geht. Und natürlich ist es ein übergroßes Ziel, Indien aus dem US-Einfluss herauszulösen. Das Land wird als Teil der „Peripheren Diplomatie“ (zhoubina waijiao) betrachtet, die Xi im Oktober 2013 in die „Schicksalsgemeinschaft“ (mingung gongongti) aufgewertet hat. Außerdem zählt Xi seit 2018 die „Reform der Global Governance“ zu den zehn Prioritäten von Chinas Diplomatie und Indien wäre auch hierfür ein wichtiger Partner.

Im chinesischen Außen- und Sicherheitsestablishment schätzt man die Chance einer Annäherung aber insgesamt als nicht sehr hoch ein. Sonst wäre Außenminister Wang Yi, wohl nicht nach dem Treffen mit Modi am 19. August, nach Kabul und weiter zum „Allwetter-Freund“ und indischen Erzfeind, nach Islamabad geflogen. Die chinesische Diplomatie ist nicht in diesem Umfang tollpatschig.

„Die chinesische Diplomatie ist nicht in diesem Umfang tollpatschig.“

Bernhard Seyringer

Um eine eventuelle Annäherung nicht durch den Grenzstreit im Himalaya zu belasten, hat Lan Jianxue vom China Institute of International Studies (CIIS), ein Think-tank der dem Außenministerium nahesteht, daran erinnert, dass der damalige indische Staatschef Rajiv Gandhi, bei seinem Besuch in China 1988 vorgeschlagen hat, den Grenzkonflikt von anderen Kooperationsbereichen zu entkoppeln.

Darüber hinaus hält man die „Außenpolitik der Stärke“-Doktrin der Modi-Administration hauptsächlich für eine pro-westliche Annäherung und Liu Zongyi vom Shanghai Institute of Strategic Studies (SIIS) nennt Indien sogar einen „Quertreiber“, der innerhalb der BRICS und der SCO im „Geheimauftrag“ des Westens Entscheidungen blockiert. Hu Shisheng, vom China Institute of Contemporary International Relations (CICIR), ein Think-tank der dem Ministerium für Staatssicherheit nahesteht, kritisiert die indische Industriepolitik der „Strategischen Autonomie“, die sich nach Ansicht von Hu vor allem gegen Chinas Wirtschaftsinteressen richtet, und das SIIS wacht mit Argusaugen über sämtliche Verhandlungen zwischen Indien, den USA, der EU und UK: Man ist sich sicher, dass Fortschritte weitreichende Auswirkungen auf die globale Supply Chain und die geoökonomischen Verhältnisse hätten.

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