Zeitgeschichten von Gerhard Jelinek

War Jesus ein Kapitalist?

1. April 2025Lesezeit: 5 Min.
Kommentar von Gerhard Jelinek

Gerhard Jelinek ist ein österreichischer Journalist, Fernsehmoderator und Buchautor. Der Jurist und erfahrene Journalist gestaltete rund 70 politische und zeitgeschichtliche Dokumentationen und Porträts.

War Jesus Christus, jener charismatische Prediger und jüdische Reformator, ein Kapitalist oder doch ein radikaler Vorläufer des Sozialismus des 19. Jahrhunderts? Und wie halten es die Amtsträger der katholischen Kirche heute mit Eigentum, Marktwirtschaft, Steuerlast und sozialen Fragen?

Erstere Frage wird seit ewigen Zeiten leidenschaftlich diskutiert und in päpstlichen Rundschreiben höchst intellektuell von allen Seiten beleuchtet. Zitate aus dem Neuen Testament lassen sich wunderbar in jede erdenkliche Richtung interpretieren. Halten wir uns in jüdisch-christlicher Tradition zunächst einmal an die zehn Gebote, die Moses auf zwei steinernen Tafeln direkt von Gott am Berg Sinai erhalten hat. Drei der Gebote meißeln privates Eigentum als göttliches Recht in Stein: „Du sollst nicht stehlen“ (was Eigentum an Dingen voraussetzt). „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus“, und „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh, noch alles, was dein Nächster hat“ (Luther-Übersetzung und nach heutigen Kriterien kaum feministisch interpretierbar). Womit auch das Eigentum an den Produktionsmitteln ein göttliches Gebot wäre.

Mit diesem biblischen Wissen ausgestattet, lesen wir die Erklärung der österreichischen Bischofskonferenz, die dieser Tage in der ungarischen Benediktiner-Erzabtei Pannonhalma – und zwar erstmals seit 1991 ohne den emeritierten Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn – getagt hat. Dabei nahmen die Würdenträger auch zu aktuellen politischen Themen Stellung – zumindest ein bisschen. Salzburgs Erzbischof Lackner verkündete bei einer Pressekonferenz (also nicht ex cathedra) „zahlreichen Expertenmeinungen zufolge, wird eine Sanierung des Staatshalts rein aufgabenseitig nicht gelingen“. Der kirchliche Würdenträger verriet nicht, auf welche „zahlreichen Expertenmeinungen“ sich die folgenden Schlussfolgerungen berufen können. Jedenfalls wird die Regierung vor einem „rigorosen Kürzen staatlicher Leistungen“ gewarnt, und es werden auch gleich „neue Steuern bzw. Reformen des Steuerwesens“ angemahnt.

Das ist schon bemerkenswert. Denn bei allem Respekt vor den versammelten katholischen Würdenträgern, es gibt keinerlei Signale, dass ein sozialistischer Finanzminister, der jahrzehntelang Expertise im Dienste der Arbeiterkammer geliefert hat, staatliche Leistungen „rigoros“ kürzen würde. In den nächsten fünf Jahren wird sogar eine längst überfällige zarte Anpassung des Pensionsantrittsalters an die wunderbar gestiegene Lebenszeit, wie das von „zahlreichen Experten“ gebetsmühlenartig gefordert wird, nicht stattfinden. Auf der ganzen Welt gibt es nur zwei Staaten, die ein ausgeprägteres Sozialssystem als Österreich haben. 

Und die Forderung nach „neuen Steuern“ – welche da gemeint sind, lässt die Bischofskonferenz im Dunkeln – ist in einem Höchststeuerland wie Österreich durchaus hinterfragenswert. Erbschafts- und Vermögenssteuern werden die Bischöfe in der ungarischen Abtei ja wohl nicht gemeint haben. Agenda-Austria-Chef Franz Schellhorn verweist da durchaus polemisch auf das Faktum, dass die katholische Kirche in Österreich ein Vermögen von rund 120 Milliarden Euro besitzt und ihr Grundbesitz der Fläche Vorarlbergs entspricht. Da ist es schon ganz günstig, dass die katholische Kirche durch das vom damaligen Bundeskanzler Engelbert Dollfuss 1934 unterzeichnete Konkordat keine Grundsteuer bezahlt. Zu Vererben gibt es offiziell seit dem am Konzil von Trient 1562 beschlossenen Eheverbots („Beschluss über Verbesserung des Lebenswandels der Geistlichen“) auch nichts. Die allfällige aussereheliche Nachkommenschaft wird ja in jeder Diözese aus einem eigenen Fonds alimentiert. 

Nun bedeutet Vermögen, das es nachhaltig zu erhalten gilt, ja auch eine enorme Bürde. Gerade viele Klöster, die nur mit enormem Aufwand ihren Besitz und die wunderbare Bausubstanz erhalten können, wissen das. In der Erzdiözese Wien, die mit einem steten Schwund ihrer zahlenden Gläubiger budgetieren muss, wurde gerade dieser Tage wieder eine Kirche an einen Immobilieninvestor verkauft. 

Der vom SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler entlehnte Satz „starken Schultern auch schwerere Lasten zuzumuten“, kann wohl nur als Beschreibung der Wirklichkeit gemeint sein – ungeschickt und unpassend ist dieses Wording jedenfalls. Angesichts einer Einkommenssteuerprogression, die einen Spitzensteuersatz von 55 Prozent vorschreibt, drücken auf die wenigen starken Schultern gehörige Lasten. Die Top 10-Prozent der Einkommensbezieher zahlen mehr als die Hälfte der gesamten Lohnsteuer. Ein Drittel zahlt gar nichts.

Das wissen natürlich auch die Bischöfe, die in ihrer Stellungnahme zwar neue Steuern ansprechen, aber gleichzeitig fordern, dass Österreich „ein leistungsfähiger Wirtschaftsstandort mit sicheren Arbeitsplätzen bleibt“. Vom einstigen Zehnt, also einer Abgabenlast, die zwischen einem und maximal dreißig Prozent (meist in Naturalien) an die Obrigkeit (sehr oft die Kirche) abzuliefern waren, haben wir uns meilenweit entfernt. 

Nun wird einer Erklärung der Bischofskonferenz dieser Tage nicht mehr gar zu große Bedeutung beigemessen. Das hat mit dem dramatisch schwindenden Einfluss der katholischen Kirche in diesem Land zu tun. Das ist doch bedauernswert. In manchen Wiener Bezirken nähert sich der Prozentsatz der Mitglieder christlicher Religionen der Einstelligkeit. 

Dennoch erstaunt die Oberflächlichkeit und die mangelnde wirtschaftliche Fundiertheit dieser Bischofserklärung schon. Sie steht leider in der Tradition einiger päpstlicher Rundschreiben der letzten Jahre. Papst Franziskus, dem eine vollständige Genesung zu wünschen ist, sprach ja auch von einer „Wirtschaft, die tötet“ und übersah dabei das Faktum, dass Marktwirtschaft und Freihandel allein in den vergangenen Jahrzehnten eine Milliarde Menschen aus Armut und Not gerettet hat. Sollten die kommunistischen Machthaber Chinas, oder auch Vietnams da weiser sein, als katholische Würdenträger?

Jesus Christus jedenfalls war – als historische Person – wohl Handwerker und hat das marktwirtschaftliche Wirtschaftssystem nie kritisiert, übermäßige Gier oder Neid aber sehr wohl. Und wenn der junge Jesus im Tempel die Tische der Tempelhändler umstößt, dann kritisiert er handfest den im Namen Gottes getriebenen Wucher mit Opfergaben. Die Händler ausserhalb des Tempels stören ihn nicht, jedenfalls weniger als staatliche Zolleintreiber.

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