Zeitgeschichten von Gerhard Jelinek

War Viktor Adler etwa ein Zinshaus-Spekulant?

7. Mai 2025Lesezeit: 5 Min.
Kommentar von Gerhard Jelinek

Gerhard Jelinek ist ein österreichischer Journalist, Fernsehmoderator und Buchautor. Der Jurist und erfahrene Journalist gestaltete rund 70 politische und zeitgeschichtliche Dokumentationen und Porträts.

Mit einer weiteren Studie finanziert aus den Pflichtbeiträgen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kampagnisiert die Wiener Arbeiterkammer gegen vermeintliche „Spekulanten mit Wiener Zinshäusern“. Es ist das alte Lied vom bösen Hausherren, den es aber laut AK-Studie ohnehin kaum noch gibt. Als Feindbild taugen Immobilieneigentümer aber immer noch. Dabei übersieht die AK ein historisches Faktum: Der Gründervater der Sozialdemokratie war einst selbst stolzer Zinshausbesitzer. Seine Mieten frei vereinbart.

Da beauftragt die Arbeiterkammer bei der TU-Wien eine Studie, die ergibt, dass sich die Preise für Wiener Altbauten (nicht die Mieten!) in den Jahren von 2000 bis 2022 verfünffacht haben sollen. Gut, die Inflation hat sich in 23 Jahren auch verdoppelt, geschenkt. Also Erwerber von Gründerzeithäusern hätten bis 2022 zu teuer gekauft. Schön, dass die AK sich auch um diese Zielgruppe Sorgen macht.

Untersucht wurde der Wiener Altbaubestand, also Miethäuser, die vor 1946 errichtet wurden. Mithilfe der Kaufpreissammlung, einer von der Stadt Wien geführten Datenbank, wurde die Marktdynamik zwischen 2000 und 2022 analysiert. Tatsächlich haben Immobilien in den ersten zwei Jahrzehnten dieses Jahrtausends einen bemerkenswerten Boom erlebt. Das allein war natürlich kein österreichisches Phänomen, das war weltweit so. 

Der sehr enge Zinshausmarkt – auch nach der AK-Studie wurden von den rund 20.000 privaten Wiener Gründerzeithäusern gerade mal 280 Objekte pro Jahr verkauft (und etliche davon mehrfach) hat das Angebot reduziert. Viele private Eigentümer von Gründerzeithäusern haben aufgrund der immer restriktiveren Bestimmungen des MRG und einer fast ausschließlich auf die Interessen der Mieter orientierten Gerichtsbarkeit w.o. gegeben und wollten „sich das einfach nicht mehr antun“. Investoren, Fonds und Versicherungen haben gekauft. Die Arbeiterkammer beklagt nun diese „Professionalisierung“ der Immobilienwirtschaft. 

In einem zweiten Teil dieser Studie wurde (offenkundig nicht von der Technischen Universität) eine „qualitative Erhebung“ gemacht, um „Strategien“ zu entlarven, mit denen Mieter aus Häusern „geekelt“ werden sollen. Für diese Studie befragte die AK ganze zehn Mieterinnen (nach unbekannten Kriterien) in zehn Häusern. Also eine Person pro Haus. Welchen wissenschaftlichen Kriterien das entsprechen soll, bleibt so unerwähnt, wie die Auswahl der Befragten. Immerhin sticht ein Ergebnis hervor. Mieter sollen durch „ökonomischen Druck aufgrund von Verbesserungsarbeiten“ herausgeekelt werden. 

Klar eine betagte Hausbesitzerin, die oft im eigenen Gründerzeithaus wohnt, will vor allem Frieden im Haus und ihr Objekt im Familienbesitz erhalten. Dass sie nach all den Instandhaltungen und notwendigen Reparaturen keine oder nur einer schmale Kapitalrendite bekommt, ist ihr gleich. 

Nicht egal sein kann es den vielen institutionellen Investoren, die – wie etwa Versicherungen – Grund und Boden ja als Deckungsstock halten müssen. Pensionsfonds, wie etwa den der Ärztekammer oder der Notariatskammer, oder viele katholischer Orden oder selbst eine bekannte Journalistenvereinigung, müssen ja eine Rendite erwirtschaften. Das ist also böse, weil ja „Wohnen ein Grundbedürfnis“ ist. Dieser Logik folgend, dürften Nahrungsmittel ja wohl auch nur ohne Gewinn produziert und verkauft werden. Und ist Gesundheit kein Grundbedürfnis? Mobilität? Dass zwei von drei Wiener Wohnungen ohnehin Sozialwohnungen sind, ist fürs „Grundbedürfnis“ wohl nicht ausreichend.

Den entscheidenden Faktor für den kurzzeitigen Boom am Wiener Zinshausmarkt erwähnt die Arbeiterkammer freilich nicht (vielleicht steht das ja im Volltext der „Studie“): Die Nullzinspolitik der EZB. 

Viele Jahre lang war das Geschäftsmodell von Investoren – ja darunter waren auch Glücksritter – ziemlich simpel. Ohne (oder nur mit lächerlich geringem) Eigenkapital mit Gratis-Krediten, kann fast jedes Objekt gekauft werden, das ist keine Kunst. 

Mit beinahe zinsenlosen Krediten rechnet sich jede Investition, wenn man nicht daran denkt, auch einmal das Fremdkapital zurückzahlen zu müssen. So wurden von wenigen Akteuren am Markt einzelne Objekte immer wieder „schnell gedreht“ und „billige“ Gewinne gemacht: kein nachhaltiges Geschäftsmodell. Dieses Spiel war mit dem Ansteigen der Zinsen vorbei, wer nicht rechtzeitig ausgestiegen ist, der musste jetzt Konkurs anmelden. Es gibt dutzende Beispiele, die Namen sind bekannt.

Am Schluss regelt der Markt doch wieder alles. Der letzte, der zu teuer kauft, bleibt über (und manchmal sind es auch die finanzierenden Banken).

Die Realität der Gegenwart spiegelt sich in der AK-Studie freilich nicht. Zufall, wohl, dass sie im Jahr 2022 endet und die Entwicklung der vergangenen drei Jahre ausblendet. Mit steigenden Zinsen, sind die Preise für Gründerzeithäuser wieder deutlich gesunken. Wer sich nur ein bisschen umhört, erfährt, dass gerade jetzt große „Pakete“ am Markt sind und institutionelle Investoren aussteigen, weil kaum noch Rendite zu erzielen ist.

Bei einem Neubau eines Mietwohnhauses rechnen gemeinnützige Bauträger mit einer erforderlichen Mindestmiete von 18 Euro netto pro Quadratmeter. Deswegen wird kaum noch neu gebaut. Und privates Kapital wird durch die willkürlichen Eingriffe ins Eigentumsrecht lieber in Aktien investiert. In den vielen wunderbaren Wiener Gründerzeithäusern beträgt die Durchschnittsmiete wahrscheinlich nur ein Drittel des für einen Neubau erforderlichen Betrages. Renditen von mehr als zwei Prozent sind kaum möglich. Wohnungssanierungen rechnen sich objektiv nicht, müssten eigentlich steuerlich als Liebhaberei eingestuft werden. Wien zehrt also von der Bausubstanz der Jahrhundertwende. Es war die Zeit, in der viele Gewerbetreibende ihr Geschäft im eigenen Haus betrieben und viele Bürger dieser Stadt den Wohnbau einer wachsenden Metropole privat finanziert haben. 

„Wohnungssanierungen rechnen sich objektiv nicht, müssten eigentlich steuerlich als Liebhaberei eingestuft werden.“

Gerhard Jelinek

Ein prominenter Arzt, der als Gründervater der Sozialdemokratie gilt, besaß in der Berggasse am Alsergrund ein solides bürgerliches Zinshaus. Sein Name: Dr. Viktor Adler. Sein prominentester Mieter: Sigmund Freud.

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