Österreich

Migration: „Transferleistungen verstärken Magnetwirkung Wiens“

Der Wien-Wahlkampf 2025 neigt sich dem Ende zu. Martin Halla, Professor für Volkswirtschaftslehre an der WU Wien, analysiert im Gespräch mit Selektiv aktuelle Herausforderungen und neue Probleme des Wiener Arbeitsmarktes. Warum es wichtig ist, Äpfel mit Äpfeln zu vergleichen, Wien den Anreiz für weiteren Zuzug Geflüchteter reduzieren sollte, was man von Dänemark lernen kann und welche Reformen es mit Blick auf den Tag nach der Wien-Wahl geben sollte.

Die Wien-Wahl steht kurz vor der Tür und ein prominentes Thema des Wahlkampfs war die im Schnitt fast doppelt so hohe Wiener Arbeitslosigkeit (2024: 9,4 Prozent) im Vergleich zu Gesamtösterreich (5,2 Prozent). Woher kommt diese Differenz und ist sie tatsächlich schon bedenklich?

Ein Teil des Unterschieds lässt sich durch die unterschiedliche Zusammensetzung der Bevölkerung in urbanen und ländlichen Regionen erklären. Im einfachen Bundesländervergleich wird Wien als urbane Metropole mit Bundesländern verglichen, die überwiegend aus ländlichen Gebieten bestehen. Vergleicht man Wien hingegen mit anderen Städten (etwa jenen mit mehr als 100.000 Einwohnern), erscheint Wien in vielen Dimensionen weniger einzigartig. Die Arbeitslosenquote ist jedoch in Wien signifikant höher als in anderen großen Städten. Ein Teil dieses Unterschieds lässt sich damit erklären, dass in Wien der Anteil an Bewohnern mit nur Pflichtschule und jenen mit Migrationshintergrund signifikant höher ist. Beide Charakteristiken sind mit schlechteren Chancen am Arbeitsmarkt assoziiert. Darüber hinaus gibt es Unterschiede in der Struktur der Arbeitsnachfrage in Bezug auf den Industriemix.

Die Jugendarbeitslosigkeit ist zuletzt österreichweit stark angestiegen. Wien nimmt auch hier einen unrühmlichen Spitzenplatz ein – im März 2025 befanden sich 37,4 Prozent aller Arbeitslosen unter 25 Jahren in Wien. Welche Maßnahmen im Bildungswesen und am Arbeitsmarkt wären nötig, um diesen Trend umzukehren?

Hier gilt ähnliches wie bei der allgemeinen Arbeitslosenquote. Wien sticht im Bundesländervergleich massiv heraus. Vergleicht man Wien mit anderen großen Städten (also Äpfel mit Äpfeln), dann sinkt der Unterschied, er verschwindet jedoch nicht. Die höhere Jugendarbeitslosigkeit in Wien im Vergleich zu den anderen Städten kann wiederum zum Teil auf die unterschiedliche Zusammensetzung der Bevölkerung (etwa in Bezug auf Migrationshintergrund) und strukturelle Unterschiede in der Arbeitsnachfrage zurückzuführen sein.

73,7 Prozent der Syrer und 54,2 Prozent der Afghanen in Wien bezogen 2023 Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung. Ist der Wiener Weg der sozialen Absicherung gescheitert?

In Summe wäre es sowohl aus arbeitsmarktpolitischen Gründen als auch in anderen Dimensionen der Integration besser, wenn es eine gleichere Verteilung von Geflüchteten über die Bundesländer gäbe. Wien ist als Metropole per se und aufgrund von bestehenden Migrantennetzwerken bereits bei Geflüchteten beliebt. Anreize durch Transferleistungen verstärken diese Magnetwirkung. Es wäre im Sinne der Integration hier entweder eine Angleichung oder sogar negative finanzielle Anreize für einen Zuzug nach Wien zu setzen. Auch wenn der Wiener Arbeitsmarkt in der Lage wäre, diesen Zuzug (besser) zu absorbieren, verbleibt das Problem der Integration im Elementar- und Pflichtschulbereich. Diese Friktionen im Bildungsbereich führen mit Verzögerung zu Problemen am Arbeitsmarkt.

Österreich und Deutschland nahmen in der EU seit 2015 pro Kopf überdurchschnittlich viele Flüchtlinge auf. Die Arbeitsmarktintegration dieser funktioniert allerdings deutlich schlechter im Vergleich zu Ländern wie Dänemark. Wo liegt das Problem, was macht Dänemark so viel besser als wir?

Studien auf Basis dänischer Daten zeigen, dass die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt durch intensivere Sprachförderung und eine gezielte Zuweisung in wirtschaftlich starke Regionen gefördert werden kann. Solche Maßnahmen verbessern die Arbeitsmarktergebnisse von Geflüchteten auch langfristig. Im Gegensatz dazu haben Kürzungen bei Sozialleistungen sowie die Ansiedlung von Geflüchteten in der Nähe bereits bestehender Netzwerke keine nachhaltigen positiven Effekte gezeigt. Österreich hat – wie so oft – besonderen Nachholbedarf bei der Schaffung einer soliden Datenbasis, um die Wirksamkeit eigener Integrationsmaßnahmen evaluieren zu können.

Sollte man Asylwerbenden bereits vollen Arbeitsmarktzugang einräumen?

Arbeit ist ein integraler Bestandteil der Integration, auch im sozialen Bereich. Wir sollten allen Menschen, die bei uns leben, Zugang zum Arbeitsmarkt gewähren.

Der Wiener Arbeitsmarkt war schon immer von besonderen Herausforderungen geprägt. In den letzten Jahren scheinen sich diese aber zuzuspitzen. Trügt der Eindruck?

Dieser Eindruck deckt sich mit Daten zur regionalen Arbeitslosigkeit des Mikrozensus. In Wien ist die Arbeitslosigkeit sowohl im Vergleich zu anderen Bundesländern als auch zu anderen großen Städten im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte stärker gestiegen.

Trotz dem mit Abstand besten Kinderbetreuungsangebot aller Bundesländer lag die Teilzeitquote bei Frauen auch in Wien zuletzt bei 45,1 Prozent (2023). Was müsste man tun, um das Erwerbspotential von Frauen in Zukunft besser zu heben?

Wenn man sich die Daten zur Erwerbstätigkeit von Frauen mit (jungen) Kindern im regionalen Vergleich ansieht, drängt sich der Schluss auf, dass die im internationalen Vergleich niedrige Vollzeitbeschäftigungsquote von Frauen nicht (allein) durch ein fehlendes Betreuungsangebot erklärt werden kann. Familien in Österreich zeigen – ungeachtet der Verfügbarkeit formaler Kinderbetreuung – eine starke Präferenz dafür, dass Frauen nach der Geburt des ersten Kindes ihre Erwerbstätigkeit reduzieren. Die Mehrheit der Frauen kehrt auch dann, wenn die Kinder älter werden, nicht in eine Vollzeitbeschäftigung zurück. Ich vermute, dass die Politik mit herkömmlichen Maßnahmen diese Präferenz nicht maßgeblich beeinflussen kann.

Was werden die größten arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen der neuen Stadtregierung in den nächsten fünf Jahren sein?

Ich denke, dass die Stadt Wien die größten Herausforderungen im Bildungsbereich zu bewältigen hat. Unter den Schulanfängern in Wien hatten zu Beginn des Schuljahres rund 45 Prozent aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse einen außerordentlichen Status. Da sich diese Schüler jedoch nicht gleichmäßig über die Wiener Gemeindebezirke verteilen, liegt der Anteil in manchen Schulen sogar noch deutlich höher. Der Großteil dieser außerordentlichen Schüler wurde bereits in Wien geboren. Die Stadt Wien muss alles daransetzen, bereits im Bereich der Elementarbildung – also im Kindergarten – möglichst vielen Kindern ausreichende Deutschkenntnisse zu vermitteln. Jene Kinder, die man bereits in der Elementarbildung auffängt, muss man in der Volksschule bestmöglich unterstützen. Jene Kinder, die man nicht bereits in der Elementarbildung auffängt, muss man in der Volksschule umso gezielter und intensiver fördern, um sprachliche Defizite möglichst rasch auszugleichen. Die bildungspolitischen Maßnahmen von heute sind die beste arbeitsmarktpolitische Vorsorge von morgen.

Zur Person

Martin Halla ist seit Oktober 2023 Professor für Gesundheitsökonomie und Digitalisierung an der WU Wien (Zuvor: JKU Linz). Sein Forschungsgebiet umfasst die angewandte Mikroökonometrie in den Bereichen Arbeit, Familie und Gesundheit.

Halla, geboren 1980 in Linz, studierte Ökonomie an der Universität Linz und habilitierte 2012 mit einer Arbeit zum Thema Angewandter Mikroökonometrie. Er lebt derzeit in Wien und hat zwei Kinder.