Uniqa-Chef Andreas Brandstetter hält den Staat mit seinem vielstufigen System aus Bund, Ländern und Gemeinden für zu kostenintensiv und ineffizient: „Der Topf, aus dem wir den laufenden Betrieb mit Pensionen, Gesundheitssystem und vielem mehr finanzieren, gerät immer mehr in Schieflage. Dadurch bleibt ein immer kleinerer Teil für Forschung, Entwicklung, Zukunft und Innovation“. Es seien „schmerzhafte und schwierige Schritte“ notwendig, aber auch Unternehmen hätten Fehler gemacht, gesteht er ein. „Bei beiden größeren Spar-Programmen – 2011/12 und 2019 – haben wir etwas getan, was ich so nicht mehr tun würde. Wir haben uns dabei auf ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konzentriert“. Uniqa sei bereit, zur Erhöhung des faktischen Pensionsantrittsalters beizutragen, aber auch das gesetzliche Alter müsse steigen.
Man hat derzeit oft das Gefühl, dass der Politik zwar bewusst ist, wo die großen Probleme liegen, sich aber kaum jemand zu klaren Ansagen durchringen kann. Zum Beispiel im Bereich der Pensionen. War das vor einigen Jahrzehnten anders?
Andreas Brandstetter: Seit den 50er-Jahren haben sich sehr viele Faktoren geändert und vieles davon war nicht schwer zu prophezeien. Wir in der Versicherungsbranche haben viel mit dem Thema Demografie zu tun. In den 50er-Jahren waren es noch sechs Erwerbstätige, die auf einen Pensionisten gekommen sind, jetzt sind wir bei drei zu eins und 2040 sind wir bei zwei zu eins. Das ergibt sich ja nicht über Nacht. Wenn ich mir das wie in einem Unternehmen vorstelle, kann sich das nicht ausgehen. Der Topf, aus dem wir den laufenden Betrieb mit Pensionen, Gesundheitssystem und vielem mehr finanzieren, gerät immer mehr in Schieflage. Dadurch bleibt ein immer kleinerer Teil für Forschung, Entwicklung, Zukunft und Innovation. Das vierstufige System aus supranationaler EU-Ebene, Bund, Ländern und Gemeinden ist zu kostenintensiv und ineffizient.
Wie performt die Regierung bisher aus Ihrer Sicht darin, diese Probleme anzugehen?
Neben dem Bewusstsein braucht es auch die Bereitschaft, zu handeln. Das sind schmerzhafte und schwierige Schritte und es hilft nicht, wenn Menschen wie ich von außen zurufen. Aber wir können mit unserer Erfahrung aus der Wirtschaft beitragen. Ein Beispiel: Als ich 2011 CEO wurde, hatten wir in Österreich eine ähnliche Struktur wie die Situation zwischen Bund und Ländern. Wir hatten neun Landesdirektionen, die defacto Mini-Uniqas waren – neunmal Verkauf, Vertrieb, Kundenservice, Marketing, Accounting. Das war vielleicht irgendwann einmal sinnvoll, aber wir konnten uns das nicht mehr leisten. Entweder ändern oder wir hätten keinen Spielraum mehr für Investitionen in Wachstum gehabt. Natürlich gab es auch Unruhe – wir haben aber nicht alles nach Wien zentralisiert, sondern je nach Bereich auch nach Linz, Salzburg oder Graz.
Die SPÖ will bei vielen notwendigen Schritten auch Unternehmen stärker in die Verantwortung nehmen. Zum Beispiel, wenn es um die Beschäftigung älterer Menschen geht. Wie sehen Sie das?
Ich verstehe das. Auch wir haben Fehler gemacht. Bei beiden größeren Spar-Programmen – 2011/12 und 2019 – haben wir etwas getan, was ich so nicht mehr tun würde. Wir haben uns dabei auf ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konzentriert – aus Kostengründen, aber dadurch ging auch Know-how verloren. Ich wäre dabei, zu sagen, wir verpflichten uns, ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter länger zu halten und so dazu beizutragen, das faktische Pensionsalter zu erhöhen. Das ändert aber nichts daran, dass auch das Gesetzliche rasch und konsequent heraufgesetzt werden muss.
Ich wäre dabei, zu sagen, wir verpflichten uns, ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter länger zu halten und so dazu beizutragen, das faktische Pensionsalter zu erhöhen.
Andreas Brandstetter
Die Regierung setzt weiter voll und ganz auf die staatliche Pensionsvorsorge. Ein Fehler?
Ja, das ist problematisch. Wir haben in der Gruppe mehr als 17 Millionen Kundinnen und Kunden, davon ein bisschen weniger als vier Millionen in Österreich. Ein guter Teil davon sind Frauen und ich habe selbst eine Tochter. Ihnen allen gebe ich das Thema private Pensionsvorsorge zum Schutz vor der Armutsfalle im Alter mit. Da gibt es eine Grundverantwortung und ich finde, dass auch der Staat einen Beitrag leisten sollte, um die zweite und dritte Säule zu stärken. Das ist eine Selbstverständlichkeit eines modernen Staates im 21. Jahrhundert und es gibt sehr gute Vorbilder wie Dänemark.
Ich muss gerade lachen, weil Sie von mir ziemlich sicher die gleichen Antworten auf die gleichen Fragen hören wie von anderen Managern.
Vielleicht gibt es eine Müdigkeit, darüber zu reden, aber es sind wichtige Punkte.
Man muss auch selbstkritisch sein. Warum schaffen wir es in der Wirtschaft nicht, die richtigen Worte und Ansätze zu finden, um bei politischen Entscheidungsträgern nicht nur das Bewusstsein zu schärfen, sondern ihnen auch bei der Umsetzung zu helfen? Es ist sicher nicht leicht und ich habe großen Respekt vor Politikern und deren Engagement – aber offenbar finden wir Manager nicht die richtigen Wege, Worte oder Bilder, um sie bei der Umsetzung zu unterstützen.
Warum schaffen wir es in der Wirtschaft nicht, die richtigen Worte und Ansätze zu finden, um bei politischen Entscheidungsträgern nicht nur das Bewusstsein zu schärfen, sondern ihnen auch bei der Umsetzung zu helfen?
Andreas Brandstetter
Dabei wäre jetzt ein gutes Zeitfenster, die nächsten Wahlen stehen erst 2027 in Oberösterreich an.
Vielleicht passiert ja 2026 noch etwas.
2026 kommt vielleicht auch eine Fachkräftestrategie. Ein Punkt, der dem Wirtschaftsminister am Herzen liegt, ist es, die Menschen wieder zu mehr Arbeit zu motivieren. Er sorgt sich um die Lifestyle-Teilzeit, also Menschen, die weniger arbeiten, obwohl sie keine Betreuungspflichten haben. Ist das ein Trend, den Sie auch bei der Uniqa spüren?
Wir haben mittlerweile nicht nur in Österreich, sondern auch in Osteuropa – wo das Wachstum herkommt – einen Arbeitnehmerinnenmarkt. Ich glaube, dass sich gut ausgebildete und einsatzbereite junge Menschen noch immer zu einem guten Teil aussuchen können, wo sie arbeiten. Von Liechtenstein bis in die Ukraine sind wir im Unternehmen ca. 15.000 Mitarbeitende und haben aufgrund der Demografie einen sehr hohen Bedarf, neue Mitarbeitende zu gewinnen. Da braucht es Flexibilität, nicht nur was die physische Präsenz und Home Office angeht, sondern auch beim Thema Teilzeit. Ich singe sicher nicht das Lied, dass junge Menschen nur Teilzeit arbeiten wollen. Das können wir nicht feststellen. Es hängt stark von der Lebenssituation ab. Wir müssen uns gut überlegen, wieviel Flexibilität wir brauchen, um die besten Talente für uns zu gewinnen.
Gibt es von diesen Talenten noch genug? Wie stark spüren Sie den Fachkräftemangel?
Als ich vor 28 Jahren meinen ersten Tag in der Firma hatte, kam ich am Abend nach Hause und sagte meiner Frau, das war der größte Fehler meines Lebens, ich kündige. Ich hatte den Eindruck von einer unglaublich langweiligen, schläfrigen Industrie. Heute ist es eine Industrie, in der sehr viele Veränderungen passieren und sich extrem viele Chancen ergeben – künstliche Intelligenz, Klimaschutz, Gesundheit. Wir tun uns überhaupt nicht schwer, Leute zu finden. Schwierig wird es, wenn das Versprechen, das man beim Onboarding bekommt, später nicht mit der realen Erfahrung im Unternehmen korreliert. Wenn jüngere Menschen enttäuscht sind, sind sie schneller weg. Die Toleranzgrenze ist nicht mehr so hoch wie früher.
Wenn jüngere Menschen enttäuscht sind, sind sie schneller weg. Die Toleranzgrenze ist nicht mehr so hoch wie früher.
Andreas Brandstetter
Der Versicherungsbranche geht es besser, wenn es den Menschen gut geht. Heuer war für Österreich ein Jahr mit weniger Naturkatastrophen als im Jahr davor. Wie hat sich das bei der Uniqa ausgewirkt?
Ja, finanziell geht es der Branche nicht nur, aber auch deswegen gut – weil Naturkatastrophen in diesem Teil der Welt größtenteils ausgeblieben sind. Zu diesem Zeitpunkt, Anfang Dezember, hatten wir im vergangenen Jahr als Uniqa bereits Schäden aus Naturkatastrophen von ca. 270 Millionen Euro – heuer sind es unter 20 Millionen Euro. Aber das ist nur ein Teil, warum es uns gut geht. Menschen suchen Sicherheit in geopolitisch herausfordernden Zeiten. Wir merken das auch am unglaublich stark wachsenden polnischen Versicherungsmarkt, wo wir als Uniqa fast acht Millionen Kundinnen und Kunden haben, mit einer Wachstumsrate in den ersten neun Monaten von etwa 14 Prozent. Wir rechnen aber auch damit, dass die Naturkatastrophen 2026 zurückkehren werden.
Anfang Dezember hatten wir im vergangenen Jahr als Uniqa bereits Schäden aus Naturkatastrophen von ca. 270 Mio. Euro – heuer sind es unter 20 Mio. Euro.
Andreas Brandstetter
Braucht es eine Pflichtversicherung gegen Naturkatastrophen und Umweltschäden?
Dieser Frage muss sich jede Regierung in ganz Europa stellen. Es gibt bereits PPP-Modelle, etwa in Belgien oder der Schweiz. Die Versicherungen können das aber nicht fordern, wir können Regierungen nur unsere beratende Expertise anbieten. Wir wissen, welche Risiken wir managen, wie wir Risiken bewerten und sie bepreisen. Die politische Entscheidung, ob man alle Einwohner des Landes gegen Naturkatastrophen abdecken möchte, muss aber die Regierung treffen. Der menschengemachte Klimawandel wird nicht stoppen – heuer war ein atypisch positives Jahr.
Ein weiterer Bereich, der in Österreich stark wächst, sind private Krankenversicherungen. Liegt das eher an der Alterung oder an den Schwächen im öffentlichen Gesundheitssystem?
Es ist Zweiteres. Vor einiger Zeit hat mir eine österreichische Spitzenpolitikerin gesagt, die private Krankenversicherung ist ein Produkt für Millionäre. Meine Antwort darauf war, dass das ein von Gott gesegnetes Land sein muss. Denn es hieße, dass wir bald vier Millionen Millionäre in Österreich hätten. So viele Menschen haben in Österreich bald eine private Krankenversicherung – Uniqa hat mit einem Marktanteil von 43 Prozent einen recht hohen Anteil daran. Früher haben die Leute zwei Dinge nachgefragt: zumindest ein Zweibettzimmer im Krankenhaus und sich den Arzt auszusuchen. Heute ist das größte Argument die raschere Geschwindigkeit bei Terminvereinbarungen. Wir sind als private Krankenversicherung nicht gegen das öffentliche System, es braucht nur eine Ergänzung dazu. Menschen sichern sich so einen raschen, unbürokratischen Zugang zum Gesundheitssystem. Die private Gesundheitsvorsorge ist mit Abstand das am stärksten nachgefragte Produkt im Privatkundengeschäft.
Menschen sichern sich einen raschen, unbürokratischen Zugang zum Gesundheitssystem.
Andreas Brandstetter
Gibt es umgekehrt noch Bereiche, die unterversichert sind?
Es gibt drei große Bereiche, bei denen Unterversicherung herrscht. Die private Pensionsvorsorge, der Schutz vor Naturkatastrophen und alles rund um Cyber. Künstliche Intelligenz birgt ganz viele Möglichkeiten, aber auch Risiken. Wir merken bei Privatkunden, aber vor allem auch bei Unternehmen eine starke Nachfrage nach Schutz vor Cyberattacken.
Österreich hat in den vergangenen Jahren sehr unter Standortschwächen gelitten und auch nach den zwei Rezessionsjahren wird das Wachstum in den kommenden Jahren verhalten bleiben. Wie stark trifft das die Uniqa?
Die Versicherungswirtschaft ist davon Gott sei Dank nicht so stark betroffen. Die Versicherungsausgaben pro Jahr liegen in Österreich im Schnitt bei 2.200 Euro pro Einwohner. Diese Ausgaben korrelieren stark mit dem so genannten Reifegrad einer Gesellschaft. Ein Land mit einem seit vielen Jahren stabilen, demokratischen System hat verstanden, dass private Vorsorge wichtig ist. Das ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. In Osteuropa ist das in bestimmten Ländern, die jahrzehntelang Kommunismus gelebt haben, anders. Dort liegen die Ausgaben bei nur 450 Euro pro Einwohner, zum Beispiel in Polen. Wenn man Richtung Balkan schaut, überhaupt nur bei 200-300 Euro. Das ist für alle Versicherungen ein riesiges Aufholpotenzial und damit eine Chance. Deswegen sind wir auf Osteuropa fokussiert.
Ein Land mit einem seit vielen Jahren stabilen, demokratischen System hat verstanden, dass private Vorsorge wichtig ist.
Andreas Brandstetter
Die Wachstumsimpulse für die Uniqa kommen also vor allem aus dieser Richtung.
Polen ist ein Riesenland mit 38 Millionen Menschen und dort herrscht derzeit eine hohe Dynamik, eine richtige Aufbruchsstimmung. Osteuropa ist für uns eine Konjunktur- und Wachstumslokomotive, auch in den BIP-Prognosen. Der zweite Punkt, von dem Wachstum ausgeht, ist das Thema Gesundheit. Nicht nur Krankenversicherungen. Vor fünf Jahren haben wir mit Mavie eine zweite Firma gegründet, die bei einer umfassenden Betreuung zum Thema Gesundheit ansetzt.